Original 1. Auflage 1974 - von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda

Bhagavad Gita wie sie ist   Bhagawad-gita

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Elftes Kapitel
Die universale Form

Verse:    1   2   3   4   5   6   7   8   9  10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
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VERS 1

अर्जुन उवाच ।
मदनुग्रहाय परमं गुह्यमध्यात्मसंज्ञितम् ।
यत्त्वयोक्तं वचस्तेन मोहोऽयं विगतो मम ॥१॥

arjuna uvāca
mad anugrahāya paramaṁ
guhyam adhyātma-saṁjñitam
yat tvayoktaṁ vacas tena
moho ’yaṁ vigato mama

arjunaḥ uvāca – Arjuna sagte; mat-anugrahāya – nur, um mir Gunst zu erweisen; paramam – höchste; guhyam – vertraulich; adhyātma – spirituell; saṁjñitam – bezüglich; yat – was; tvayā – von Dir; uktam – sagte; vacaḥ – Worte; tena – dadurch; mohaḥ – Illusion; ayam – dieses; vigataḥ – ist beseitigt; mama – mein.

ÜBERSETZUNG

Arjuna sagte: Ich habe Deine Unterweisung in vertraulichen spirituellen Angelegenheiten vernommen, die Du mir in Deiner Güte verkündet hast, und meine Illusion ist nun von mir gewichen.

ERKLÄRUNG

Dieses Kapitel offenbart Kṛṣṇa als den Ursprung aller Ursprünge. Er ist sogar der Ursprung Mahā-Viṣṇus, aus dem die materiellen Universen hervorgehen. Kṛṣṇa ist keine Inkarnation, sondern der Ursprung aller Inkarnationen. Dies ist im letzten Kapitel ausführlich erklärt worden.

Was nun Arjuna betrifft, so sagt dieser, daß seine Illusion nun vergangen sei. Das bedeutet, daß Arjuna Kṛṣṇa nicht länger für einen gewöhnlichen Menschen, für einen seiner Freunde, hält, sondern versteht, daß Kṛṣṇa die Quelle allen Seins ist. Arjuna ist zwar sehr erleuchtet und froh, einen so bedeutenden Freund wie Kṛṣṇa zu haben, doch nun zieht er in Erwägung, daß andere, im Gegensatz zu ihm, Kṛṣṇa nicht als Ursprung allen Seins akzeptieren könnten. Um also allen Menschen das göttliche Wesen Kṛṣṇas zu beweisen, bittet er Kṛṣṇa in diesem Kapitel, Seine universale Form zu zeigen. Eigentlich wird man, wenn man die universale Form Kṛṣṇas sieht, genau wie Arjuna, in Angst und Schrecken versetzt; doch Kṛṣṇa ist so gütig, daß Er Sich, nachdem Er Sich in dieser Form offenbart hat, wieder in Seine ursprüngliche Gestalt zurückverwandelt. Arjuna stimmt den Aussagen Kṛṣṇas mehrere Male zu. Kṛṣṇa spricht zu ihm nur zu seinem Nutzen, und Arjuna gesteht, daß ihm all dies allein durch die Gnade Kṛṣṇas offenbart wird. Er ist nun davon überzeugt, daß Kṛṣṇa die Ursache aller Ursachen ist und im Herzen eines jeden als Überseele weilt.

VERS 2

भवाप्ययौ हि भूतानां श्रुतौ विस्तरशो मया ।
त्वत्तः कमलपत्राक्ष माहात्म्यमपि चाव्ययम् ॥२॥

bhavāpyayau hi bhūtānāṁ
śrutau vistaraśo mayā
tvattaḥ kamala-patrākṣa
māhātmyam api cāvyayam

bhava – Erscheinen; apyayau – Fortgehen; hi – gewiß; bhūtānām – aller Lebewesen; śrutau – sind gehört worden; vistaraśaḥ – im einzelnen; mayā – von mir; tvattaḥ – von Dir; kamala-patrākṣa – O Lotusäugiger; māhātmyam – Herrlichkeiten; api – auch; ca – und; avyayam – unerschöpflich.

ÜBERSETZUNG

O Lotusäugiger, ich habe von Dir im einzelnen über das Erscheinen und Fortgehen aller Lebewesen und über Deine unerschöpflichen Herrlichkeiten gehört.

ERKLÄRUNG

Arjuna redet Śrī Kṛṣṇa in seiner Freude mit „Lotusäugiger“ an (Kṛṣṇas Augen gleichen den Blütenblättern eines Lotus), da Kṛṣṇa ihm im letzten Vers des vorherigen Kapitels versichert hat, daß Er das gesamte Universum mit nur einem Fragment Seines Selbst erhält. Er ist die Quelle allen Seins in der materiellen Manifestation, und Arjuna hat darüber in aller Einzelheit vom Herrn gehört. Arjuna weiß auch, daß Kṛṣṇa über allem Erscheinen und Verschwinden steht, obwohl Er die Ursache davon ist. Seine Persönlichkeit geht nicht verloren, obwohl Er alldurchdringend ist. Das ist die unvorstellbare Fülle Kṛṣṇas, die Arjuna, wie er sagt, völlig erkannt hat.

VERS 3

एवमेतद्यथात्थ त्वमात्मानं परमेश्वर ।
द्रष्टुमिच्छामि ते रूपमैश्वरं पुरूषोत्तम ॥३॥

evam etad yathāttha
tvam ātmānaṁ parameśvara
draṣṭum icchāmi te rūpam
aiśvaraṁ puruṣottama

evam – das; etat – dies; yathāttha – wie es ist; tvam – Du; ātmānam – Seele; parameśvara – der Höchste Herr; draṣṭum – zu sehen; icchāmi – Ich wünsche; te – Deine; rūpam – Form; aiśvaram – göttlich; puruṣottama – O beste der Persönlichkeiten.

ÜBERSETZUNG

O größte aller Persönlichkeiten, o höchste Gestalt, obwohl Ich Dich in Deiner wirklichen Identität hier vor mir sehe, möchte ich dennoch sehen, wie Du in die kosmische Manifestation eingegangen bist. Zeige mir bitte diese Deine Form.

ERKLÄRUNG

Der Herr sagte, daß die kosmische Manifestation nur möglich geworden sei und ihren Lauf nehme, weil Er durch Seine persönliche Repräsentation in das materielle Universum eingegangen sei. Was nun Arjuna betrifft, so ist dieser durch die Aussagen Kṛṣṇas zwar erleuchtet, doch, um auch andere in der Zukunft zu überzeugen, die Kṛṣṇa für einen gewöhnlichen Menschen halten, möchte er Ihn in Seiner universalen Form sehen, um zu verstehen, wie Er im Universum wirkt, obwohl Er gleichzeitig entfernt davon ist. Daß Arjuna den Herrn um Zustimmung bittet, ist ebenfalls bedeutsam. Weil der Herr der Höchste Persönliche Gott ist, ist Er auch in Arjuna anwesend; deshalb kennt Er die Wünsche Arjunas und kann verstehen, daß Arjuna kein persönliches Motiv verfolgt, wenn er Ihn in Seiner universalen Form sehen möchte; denn Arjuna ist voll und ganz damit zufrieden, Ihn in Seiner persönlichen Gestalt als Kṛṣṇa zu sehen. Er kann verstehen, daß Arjuna Ihn in Seiner universalen Form sehen will, um andere zu überzeugen – Arjuna selbst brauchte keinen Beweis. Kṛṣṇa versteht auch, daß Arjuna die universale Form sehen möchte, um ein Kriterium zu setzen, da es in Zukunft viele Betrüger geben würde, die sich als Inkarnationen Gottes ausgeben würden. Die Menschen sollten daher vorsichtig sein; wer behauptet, Kṛṣṇa zu sein, sollte bereit sein, die universale Form zu zeigen, um diese Behauptung zu beweisen.

VERS 4

मन्यसे यदि तच्छक्यं मया द्रष्टुमिति प्रभो ।
योगेश्वर ततो मे त्वं दर्शयात्मानमव्ययम् ॥४॥

manyase yadi tac chakyaṁ
mayā draṣṭum iti prabho
yogeśvara tato me tvaṁ
darśayātmānam avyayam

manyase – wenn Du denkst; yadi – wenn; tat – das; śakyam – imstande sein zu sehen; mayā – von mir; draṣṭum – sehen; iti – so; prabho – O Herr; yogeśvara – der Herr über alle mystischen Kräfte; tataḥ – dann; me – zu mir; tvam – Du; darśaya – zeige; ātmānam – Dich; avyayam – ewig.

ÜBERSETZUNG

O mein Herr, o Meister aller mystischen Kräfte, wenn Du glaubst, ich sei fähig, Deine kosmische Form zu betrachten, dann sei bitte so gütig, mir dieses universale Selbst zu zeigen.

ERKLÄRUNG

Es wird gesagt, daß man den Höchsten Herrn, Kṛṣṇa, mit materiellen Sinnen weder sehen, noch hören, noch verstehen, noch wahrnehmen kann. Wenn man jedoch im transzendentalen liebevollen Dienst beschäftigt ist, kann man den Herrn durch dessen Offenbarung sehen. Jedes Lebewesen ist nur ein spiritueller Funke, und deshalb ist es nicht möglich, den Höchsten Herrn zu sehen oder zu verstehen. Arjuna ist als Gottgeweihter nicht von der Kraft Seiner Spekulation abhängig; vielmehr erkennt er seine Grenzen als Lebewesen und rühmt die unvergleichliche Position Kṛṣṇas. Arjuna konnte verstehen, daß es einem Lebewesen nicht möglich ist, das unbegrenzte Unendliche zu verstehen. Wenn sich das Unendliche jedoch offenbart, ist es durch die Gnade des Unendlichen möglich, das Wesen des Unendlichen zu verstehen. Das Wort yogeśvara ist hier ebenfalls sehr bedeutsam, denn der Herr verfügt über unvorstellbare Kräfte. Wenn es Ihm beliebt, kann Er Sich, trotz Seiner Unendlichkeit, durch Seine Gnade offenbaren. Deshalb bittet Arjuna um die unvorstellbare Gnade Kṛṣṇas. Er gibt Kṛṣṇa keine Befehle. Solange man sich nicht im Kṛṣṇa-Bewußtsein völlig hingibt und sich im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, ist Kṛṣṇa nicht verpflichtet, Sich irgendeinem Menschen zu offenbaren. Deshalb ist es für Menschen, die von der Kraft ihrer gedanklichen Spekulationen abhängig sind, nicht möglich, Kṛṣṇa zu sehen.

VERS 5

श्रीभगवानुवाच ।
पश्य मे पार्थ रूपाणि शतशोऽथ सहस्रशः ।
नानाविधानि दिव्यानि नानावर्णाकृतीनि च ॥५॥

śrī bhagavān uvāca
paśya me pārtha rūpāṇi
śataśo’tha sahasraśaḥ
nānā-vidhāni divyāni
nānā-varṇākṛtīni ca

śrī bhagavān uvāca – der Höchste Persönliche Gott sagte; paśya – sieh nur; me – Meine; pārtha – O Sohn Pṛthās; rūpāṇi – Formen; śataśaḥ – Hunderte; atha – auch; sahasraśaḥ – Tausende; nānā-vidhāni – mannigfaltig; divyāni – göttliche; nānā – mannigfaltig; varṇa – gefärbt; akṛtīni – Formen; ca – auch.

ÜBERSETZUNG

Der Höchste Herr sagte: Mein lieber Arjuna, o Sohn Pṛthās, betrachte nun Meine Füllen – Hunderttausende von verschiedenen göttlichen Formen, vielfarbig wie die See.

ERKLÄRUNG

Arjuna wollte Kṛṣṇa in Seiner universalen Form sehen, die – obwohl eine transzendentale Form – nur für die kosmische Manifestation manifestiert und daher den Veränderungen der materiellen Natur unterworfen ist. In ähnlicher Weise wie die materielle Natur einmal manifestiert und ein anderes Mal nicht manifestiert ist, so ist auch die universale Form Kṛṣṇas einmal manifestiert und dann wieder unmanifestiert. Sie weilt nicht, wie die anderen Formen Kṛṣṇas, ewiglich in der spirituellen Welt. Was den Gottgeweihten betrifft, so sehnt er sich nicht danach, die universale Form zu sehen; doch weil Arjuna Kṛṣṇa in dieser Weise sehen wollte, offenbarte der Herr diese Form. Die universale Form kann unmöglich von einem gewöhnlichen Menschen gesehen werden; man muß erst von Kṛṣṇa die Kraft erhalten, um diese Form sehen zu können.

VERS 6

पश्यादित्यान्वसून्रुद्रानश्विनौ मरुतस्तथा ।
बहून्यदृष्टपूर्वाणि पश्याश्चर्याणि भारत ॥६॥

paśyādityān vasūn rudrān
aśvinau marutas tathā
bahūny adṛṣṭa-pūrvāṇi
paśyāścaryāṇi bhārata

paśya – siehe; ādityān – die zwölf Söhne Aditis; vasūn – die acht Vasus; rudrān – die elf Formen Rudras; aśvinau – die beiden Aśvins; marutaḥ – die neunundvierzig Maruts (Halbgötter des Windes); tathā – auch; bahūni – viele; adṛṣṭa – das hast du weder gehört noch gesehen; pūrvāṇi – vorher; paśya – siehe dort; āścaryāṇi – all dies Wunderbare; bhārata – O Bester der Bhāratas.

ÜBERSETZUNG

O Bester der Bhāratas, sieh nur die verschiedenen Manifestationen der Ādityas, Rudras und aller Halbgötter. Betrachte die Vielfalt, die niemand zuvor gesehen und von der niemand jemals etwas gehört hat.

ERKLÄRUNG

Obwohl Arjuna ein persönlicher Freund Kṛṣṇas und der fortgeschrittenste Gelehrte seiner Zeit war, war es ihm dennoch nicht möglich, alles von Kṛṣṇa zu wissen. Hier wird gesagt, daß niemals zuvor Menschen von all diesen Formen und Manifestationen gehört oder gewußt haben. Nun offenbarte Kṛṣṇa diese wunderbaren Formen.

VERS 7

इहैकस्थं जगत्कृत्स्नं पश्याद्य सचराचरम् ।
मम देहे गुडाकेश यच्चान्यद्द्रष्टुमिच्छसि ॥७॥

ihaikasthaṁ jagat kṛtsnaṁ
paśyādya sa-carācaram
mama dehe guḍākeśa
yac cānyad draṣṭum icchasi

iha – in dieser; ekastham – in einem; jagat – das Universum; kṛtsnam – vollständig; paśya – sehen; adya – sofort; sa – mit; cara – sich bewegend; acaram – sich nicht bewegend; mama – Mein; dehe – in diesem Körper; guḍākeśa – O Arjuna; yat – das; ca – auch; anyat – anderes; draṣṭum – sehen; icchasi – du möchtest.

ÜBERSETZUNG

Was immer du auch sehen möchtest, kann augenblicklich in diesem Körper gesehen werden. Diese universale Form kann dir alles zeigen, was du dir jetzt, wie auch in der Zukunft wünschen magst. Alles ist hier vorhanden.

ERKLÄRUNG

Niemand kann das gesamte Universum von einem Ort aus überblicken. Selbst der fortgeschrittenste Wissenschaftler kann nicht sehen, was in anderen Teilen des Universums vor sich geht. Kṛṣṇa gibt Arjuna die Kraft, all das zu sehen, was er sehen möchte – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Durch die Barmherzigkeit Kṛṣṇas ist Arjuna also fähig, alles zu sehen.

VERS 8

न तु मां शक्यसे द्रष्टुमनेनैव स्वचक्षुषा ।
दिव्यं ददामि ते चक्षुः पश्य मे योगमैश्वरम् ॥८॥

na tu māṁ śakyase draṣṭum
anenaiva sva-cakṣuṣā
divyaṁ dadāmi te cakṣuḥ
paśya me yogam aiśvaram

na – niemals; tu – aber; mām – Mich; śakyase – imstande; draṣṭum – zu sehen; anena – durch dies; eva – gewiß; sva-cakṣuṣā – mit deinen eigenen Augen; divyam – göttlich; dadāmi – Ich gebe; te – dir; cakṣuḥ – Augen; paśya – zu sehen; me – Meinen; yogam aiśvaram – unbegreiflichen mystischen Reichtum.

ÜBERSETZUNG

Doch mit deinen gegenwärtigen Augen kannst du Mich nicht sehen. Deshalb gebe Ich dir göttliche Augen, mit denen Du Meinen mystischen Reichtum betrachten kannst.

ERKLÄRUNG

Ein reiner Gottgeweihter möchte Kṛṣṇa in keiner anderen Form als in Seiner zweihändigen Gestalt sehen. Er kann die universale Form nur durch die Gnade des Herrn schauen, und nicht mit dem materiellen Geist – daher müssen ihm spirituelle Augen gegeben werden. Um die universale Form Kṛṣṇas sehen zu können, wird Arjuna angewiesen, nicht seinen Geist, sondern seine Sicht zu verändern. Die universale Form Kṛṣṇas ist jedoch nicht sehr wichtig, wie aus den folgenden Versen deutlich wird. Aber weil Arjuna sie sehen wollte, gab ihm der Herr die besondere Sicht, die notwendig war, um die universale Form zu betrachten.

Die Gottgeweihten, die in ihrer transzendentalen Beziehung zum Herrn verankert sind, werden von liebevollen Eigenschaften angezogen, und nicht von einer gottlosen Entfaltung von Reichtum. Die Spielkameraden Kṛṣṇas, die Freunde Kṛṣṇas und die Eltern Kṛṣṇas wollen niemals, daß Kṛṣṇa Seine Füllen offenbart. Sie sind so sehr in reiner Liebe versunken, daß sie nicht einmal wissen, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist. In ihrem liebenden Austausch vergessen sie, daß Kṛṣṇa der Höchste Herr ist. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird gesagt, daß die Jungen, die mit Kṛṣṇa spielen, sehr fromme Seelen sind, und daß sie nach vielen, vielen Geburten die Gelegenheit erhalten haben, mit Kṛṣṇa zusammenzusein. Diese Jungen wissen nicht, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, sondern halten Ihn für einen ihrer Freunde. Gewöhnliche Menschen halten Ihn für ein Produkt der materiellen Natur, und die großen Weisen verstehen die Höchste Person als das unpersönliche Brahman, doch die Gottgeweihten verstehen Ihn als den Höchsten Persönlichen Gott.

Eigentlich ist ein Gottgeweihter nicht daran interessiert, die viśva-rūpa (die universale Form) zu sehen; doch Arjuna wollte sie sehen, um Kṛṣṇas Aussagen zu erhärten, so daß auch die Menschen in der Zukunft verstehen könnten, daß Kṛṣṇa Sich nicht nur theoretisch oder philosophisch als der Höchste präsentierte, sondern Sich Arjuna tatsächlich als solcher offenbarte. Arjuna muß dies bestätigen, weil er das erste Glied in der Nachfolge der geistigen Meister ist. Diejenigen, die ernsthaft daran interessiert sind, den Höchsten Persönlichen Gott, Kṛṣṇa, zu verstehen, und die dem Beispiel Arjunas folgen wollen, sollten daher verstehen, daß Sich Kṛṣṇa nicht nur als der Höchste ausgab, sondern Sich tatsächlich als solcher offenbarte.

Wie wir schon erklärt haben, gab der Herr Arjuna die notwendige Kraft, um die universale Form sehen zu können, denn Er wußte, daß Arjuna sie nicht aus einem persönlichen Motiv heraus sehen wollte.

VERS 9

सञ्जय उवाच ।
एवमुक्त्वा ततो राजन्महायोगेश्वरो हरिः ।
दर्शयामास पार्थाय परमं रूपमैश्वरम् ॥९॥

sañjaya uvāca
evam uktvā tato rājan
mahā-yogeśvaro hariḥ
darśayāmāsa pārthāya
paramaṁ rūpam aiśvaram

sañjayaḥ uvāca – Sañjaya sagte; evam – so; uktvā – indem er sagte; tatah – danach; rājan – O König; mahā-yogeśvaraḥ – der mächtigste Mystiker; hariḥ – der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa; darśayāmāsa – zeigte; pārthāya – Arjuna; paramam – göttliche; rūpam – universale Form; aiśvaram – Füllen.

ÜBERSETZUNG

Sañjaya sagte: O König, mit diesen Worten offenbarte der Höchste, der Herr aller mystischen Kraft, der Persönliche Gott, Arjuna Seine universale Form.

VERS 10–11

अनेकवक्त्रनयनमनेकाद्भुतदर्शनम् ।
अनेकदिव्याभरणं दिव्यानेकोद्यतायुधम् ॥१०॥

दिव्यमाल्याम्बरधरं दिव्यगन्धानुलेपनम् ।
सर्वाश्चर्यमयं देवमनन्तं विश्वतोमुखम् ॥११॥

aneka-vaktra-nayanam
anekādbhuta-darśanam
aneka-divyābharaṇaṁ
divyānekodyatāyudham

divya-mālyāmbara-dharaṁ
divya-gandhānulepanam
sarvāścaryamayaṁ devam
anantaṁ viśvato-mukham

aneka – vielfache; vaktra – Münder; nayanam – Augen; aneka – vielfache; adbhuta – wundervoller; darśanam – Anblick; aneka – viele; divya – göttliche; ābharaṇam – Geschmeide; divya – göttlich; aneka – vielfache; udyata – erhobene; āyudham – Waffen; divya – göttliche; mālya – Girlanden; ambara-dharam – mit Gewändern bekleidet; divya – göttliche; gandha – Duft; anulepanam – gesalbt; sarva – alles; aścaryamayam – wunderbar; devam – glänzend; anatam – unbegrenzt; viśvataḥ-mukham – alldurchdringend.

ÜBERSETZUNG

Arjuna sah in dieser universalen Form unbegrenzt viele Münder und Augen. Alles war überwältigend. Die Form war mit göttlichem, gleißendem Geschmeide geschmückt und in viele Gewänder gekleidet. Wunderschöne Girlanden bekränzten den Herrn, und Sein Körper war mit wohlriechenden Ölen gesalbt. All dies war großartig und erweiterte sich überallhin ins Grenzenlose. Dies wurde von Arjuna geschaut.

ERKLÄRUNG

Diese beiden Verse deuten darauf hin, daß der Herr unbegrenzt viele Hände, Münder, Beine usw. hat. Diese Manifestationen sind überall im Universum verbreitet und kennen keine Grenzen. Durch die Gnade des Herrn konnte Arjuna sie sehen, obwohl er sich an einem Ort befand. Dies war allein durch die unvorstellbare Macht des Herrn möglich.

VERS 12

दिवि सूर्यसहस्रस्य भवेद्युगपदुत्थिता ।
यदि भाः सदृशी सा स्याद्भासस्तस्य महात्मनः ॥१२॥

divi sūrya-sahasrasya
bhaved yugapad utthitā
yadi bhāḥ sadṛśī sā syād
bhāsas tasya mahātmanaḥ

divi – im Himmel; sūrya – Sonne; sahasrasya – von vielen tausend; bhavet – waren dort; yugapat – gleichzeitig; utthitā – gegenwärtig; yadi – wenn; bhāḥ – Licht; sadṛśī – wie das; – das; syāt – kann sein; bhāsaḥ – Glanz; tasya – gibt es; mahātmanaḥ – des großen Herrn.

ÜBERSETZUNG

Wenn Hunderttausende von Sonnen gleichzeitig in den Himmel stiegen, könnten sie dem Glanz der Höchsten Person in dieser universalen Form vielleicht gleichkommen.

ERKLÄRUNG

Was Arjuna sah, war unbeschreiblich; aber dennoch versucht Sañjaya, dem blinden Dhṛtarāṣṭra eine Vorstellung von dieser großen Offenbarung zu geben. Weder Sañjaya noch Dhṛtarāṣṭra waren auf dem Schlachtfeld zugegen, doch Sañjaya konnte durch die Gnade Vyāsas alle Geschehnisse beobachten. Daher vergleicht er nun die Situation, so weit sie überhaupt verstanden werden kann, mit einem vorstellbaren Phänomen (nämlich mit Tausenden von Sonnen).

VERS 13

तत्रैकस्थं जगत्कृत्स्नं प्रविभक्तमनेकधा ।
अपश्यद्देवदेवस्य शरीरे पाण्डवस्तदा ॥१३॥

tatraikasthaṁ jagat kṛtsnaṁ
pravibhaktam anekadhā
apaśyad deva-devasya
śarīre pāṇḍavas tadā

tatra – dort; ekastham – ein Ort; jagat – Universum; kṛtsnam – vollständig; pravibhaktam – eingeteilt in; anekadhā – viele Arten; apaśyat – konnte sehen; deva-devasya – des Höchsten Persönlichen Gottes; śarīre – in der universalen Form; pāṇḍavaḥ – Arjuna; tadā – zu dieser Zeit.

ÜBERSETZUNG

Arjuna konnte in der universalen Form des Herrn die grenzenlosen Erweiterungen des Universums sehen, die sich alle an einem Ort befanden, obwohl es ihrer viele Tausende waren.

ERKLÄRUNG

Das Wort tatra (dort) ist sehr bedeutsam. Es weist darauf hin, daß sowohl Arjuna als auch Kṛṣṇa auf dem Streitwagen saßen, als Arjuna die universale Form sah. Andere auf dem Schlachtfeld konnten diese Form nicht sehen, weil Kṛṣṇa diese Sicht nur Arjuna gab. Arjuna konnte im Körper Kṛṣṇas viele Tausende von Universen sehen. Aus den vedischen Schriften erfahren wir, daß es viele Universen und viele Planeten gibt. Einige von ihnen bestehen aus Erde, einige aus Gold und andere aus Juwelen; einige sind sehr groß, andere sind weniger groß usw. Während Arjuna auf seinem Streitwagen saß, konnte er all diese Universen sehen. Aber niemand konnte verstehen, was zwischen Arjuna und Kṛṣṇa vorging.

VERS 14

ततः स विस्मयाविष्टो हृष्टरोमा धनञ्जयः ।
प्रणम्य शिरसा देवं कृताञ्जलिरभाषत ॥१४॥

tataḥ sa vismayāviṣṭo
hṛṣṭa-romā dhanañjayaḥ
praṇamya śirasā devaṁ
kṛtāñjalir abhāṣata

tataḥ – danach; saḥ – er; vismayāviṣṭaḥ – von Verwunderung überwältigt; hṛṣṭa-romā – während sich seine Körperhaare in großer Ekaste sträubten; dhanañjayaḥ – Arjuna; praṇamya – Ehrerbietungen darbringend; śirasā – mit dem Kopf; devam – zum Höchsten Persönlichen Gott; kṛtāñjaliḥ – mit gefalteten Händen; abhāṣata – begann zu sprechen.

ÜBERSETZUNG

Da Arjuna von Erstaunen überwältigt war und seine Haare sich in Ekstase sträubten, brachte er dem Höchsten Herrn seine Ehrerbietungen dar und begann mit gefalteten Händen zu beten.

ERKLÄRUNG

Da nun die göttliche Erscheinung offenbart ist, ändert sich das Verhältnis zwischen Kṛṣṇa und Arjuna augenblicklich. Bisher beruhte diese Beziehung auf Freundschaft, doch nach der Offenbarung der universalen Form bringt Arjuna mit großem Respekt seine Ehrerbietungen dar und betet mit gefalteten Händen zu Kṛṣṇa. Er rühmt die universale Form. Somit wird die Beziehung zwischen Arjuna und Kṛṣṇa eher zu einem Verhältnis des Erstaunens als zu einem der Freundschaft.

Die großen Gottgeweihten verstehen, daß Kṛṣṇa die Quelle aller Beziehungen ist. In den Schriften werden zwölf grundlegende Beziehungen erwähnt, und sie alle sind in Kṛṣṇa zu finden. Es wird gesagt, daß Er der Ozean aller Beziehungen ist, die zwischen den Lebewesen, den Göttern oder dem Höchsten Herrn und Seinen Geweihten ausgetauscht werden.

Es heißt, daß Arjuna von der Beziehung des Erstaunens erleuchtet wurde, und in diesem Erstaunen wurde er, obwohl er von Natur aus sehr nüchtern, besonnen und ruhig war, von Ekstase überwältigt, und seine Haare sträubten sich. Mit gefalteten Händen begann er daher dem Höchsten Herrn seine Ehrerbietungen zu erweisen. Selbstverständlich hatte er keine Angst – doch er war von den Wundern des Höchsten Herrn überwältigt. Die unmittelbare Erklärung hierfür ist Erstaunen; seine natürliche liebende Freundschaft war von Erstaunen überwältigt worden, und daher reagierte er in dieser Weise.

VERS 15

अर्जुन उवाच ।
पश्यामि देवांस्तव देव देहे सर्वांस्तथा भूतविशेषसङ्घान् ।
ब्रह्माणमीशं कमलासनस्थमृषींश्च सर्वानुरगांश्च दिव्यान् ॥१५॥

arjuna uvāca
paśyāmi devāṁs tava deva dehe
sarvāṁs tathā bhūta-viśeṣa-saṅghān
brahmāṇam īśaṁ kamalāsana-stham
ṛṣīṁś ca sarvān uragāṁś ca divyān

arjunaḥ uvāca – Arjuna sagte; paśyāmi – ich sehe; devān – alle Halbgötter; tava – Deine; deva – O Herr; dehe – im Körper; sarvān – alle; tathā – auch; bhūta – Lebewesen; viśeṣa-saṅghān – besonders versammelt; brahmāṇam – Brahmā; īśam – Śiva; kamala-āsana-stham – der auf der Lotusblume sitzt; ṛṣīn – große Weise; ca – auch; sarvān – alle; uragān – Schlangen; ca – auch; divyān – göttliche.

ÜBERSETZUNG

Arjuna sagte: Mein lieber Kṛṣṇa, ich sehe in Deinem Körper alle Halbgötter und verschiedene andere Lebewesen versammelt. Ich sehe Brahmā auf dem Lotus, und ich kann auch Śiva, viele Weise und göttliche Schlangen erkennen.

ERKLÄRUNG

Arjuna sieht alle Manifestationen, die im Universum existieren, und daher kann er auch Brahmā erkennen, das erste Geschöpf im Universum, und die göttliche Schlange, auf der Garbhodakaśāyī Viṣṇu in den unteren Regionen des Universums liegt. Dieses Schlangenbett wird Vāsuki genannt. Arjuna kann von Garbhodakaśāyī Viṣṇu bis hinauf zum höchsten Planeten im Universum sehen, dem Lotus-Planeten, auf dem Brahmā lebt. Das bedeutet, daß Arjuna, während er auf seinem Streitwagen saß, alles im Universum Existierende sehen konnte. Dies alles war durch die Gnade des Höchsten Herrn, Kṛṣṇa, möglich.

VERS 16

अनेकबाहूदरवक्त्रनेत्रं पश्यामि त्वां सर्वतोऽनन्तरूपम् ।
नान्तं न मध्यं न पुनस्तवादिं पश्यामि विश्वेश्वर विश्वरूप ॥१६॥

aneka-bāhūdara-vaktra-netraṁ
paśyāmi tvāṁ sarvato’nanta-rūpam
nāntaṁ na madhyaṁ na punas tavādiṁ
paśyāmi viśveśvara viśva-rūpa

aneka – viele; bāhū – Arme; udara – Bäuche; vaktra – Münder; netram – Augen; paśyāmi – ich sehe; tvām – in Dir; sarvataḥ – von allen Seiten; ananta-rūpam – unbegrenzte Form; na antam – es gibt kein Ende; na madhyam – es gibt keine Mitte; na punaḥ – auch nicht wieder; tava – Dein; ādim – Anfang; paśyāmi – ich sehe; viśveśvara – O Herr des Universums; viśva-rūpa – in der Form des Universums.

ÜBERSETZUNG

O Herr des Universums, ich sehe in Deinem universalen Körper zahllose Formen – Arme, Bäuche, Münder und Augen –, die sich ins Grenzenlose ausdehnen. All dies hat kein Ende, keine Mitte und keinen Anfang.

ERKLÄRUNG

Kṛṣṇa ist der Höchste Persönliche Gott, und Er ist unbegrenzt; deshalb konnte in Ihm alles gesehen werden.

VERS 17

किरीटिनं गदिनं चक्रिणञ्चतेजोराशिं सर्वतो दीप्तिमन्तम् ।
पश्यामि त्वां दुर्निरीक्ष्यं समन्ताद्दीप्तानलार्कद्युतिमप्रमेयम् ॥१७॥

kirīṭinaṁ gadinaṁ cakriṇaṁ ca
tejorāśiṁ sarvato dīptimantam
paśyāmi tvāṁ durnirīkṣyaṁ samantād
dīptānalārka-dyutim aprameyam

kirīṭinam – mit Helmen; gadinam – mit Keulen; cakriṇam – mit Feuerrädern; ca – und; tejorāśim – Glanz; sarvataḥ – alle Seiten; dīptimantam – glühend; paśyāmi – ich sehe; tvām – Dich; durnirīkṣyam – schwer zu sehen; samantāt – verbreitend; dīpta-anala – loderndes Feuer; arka – Sonne; dyutim – Sonnenschein; aprameyam – unermeßlich.

ÜBERSETZUNG

Der Anblick Deiner Form, die als Schmuck verschiedene Kronen, Keulen und Feuerräder trägt, ist kaum zu ertragen, da ein strahlender Glanz von ihr ausgeht, der feurig und unermeßlich ist wie die Sonne.

VERS 18

त्वमक्षरं परमं वेदितव्यं त्वमस्य विश्वस्य परं निधानम् ।
त्वमव्ययः शाश्वतधर्मगोप्ता सनातनस्त्वं पुरुषो मतो मे ॥१८॥

tvam akṣaraṁ paramaṁ veditavyaṁ
tvam asya viśvasya paraṁ nidhānam
tvam avyayaḥ śāśvata-dharma-goptā
sanātanas tvaṁ puruṣo mato me

tvam – Du; akṣaram – unerschöpflich; paramam – erhaben; veditavyam – muß verstanden werden; tvam – Du; asya – davon; viśvasya – des Universums; param – höchste; nidhānam – Grundlage; tvam – Du bist; avyayaḥ – unerschöpflich; saśvata-dharma-goptā – Erhalter der ewigen Religion; sanātanaḥ – ewig; tvam – Du; puruṣaḥ – Höchste Persönlichkeit; mataḥ me – ist meine Meinung.

ÜBERSETZUNG

Du bist das höchste, ursprüngliche Ziel; Du bist der Vortrefflichste in allen Universen; Du bist unerschöpflich, und Du bist der Älteste; Du bist der Erhalter der Religion, der ewige Höchste Persönliche Gott.

VERS 19

अनादिमध्यान्तमनन्तवीर्यमनन्तबाहुं शशिसूर्यनेत्रम् ।
पश्यामि त्वां दीप्तहुताशवक्त्रं स्वतेजसा विश्वमिदं तपन्तम् ॥१९॥

anādi-madhyāntam ananta-vīryam
ananta-bāhuṁ śaśi-sūrya-netram
paśyāmi tvāṁ dīpta-hutāśa-vaktraṁ
sva-tejasā viśvam idaṁ tapantam

anādi – ohne Anfang; madhya – ohne Mitte; antam – ohne Ende; ananta – unbegrenzt; vīryam – ruhmvoll; ananta – unbegrenzt; bāhum – Arme; śaśi – Mond; sūrya – Sonne; netram – Augen; paśyāmi – ich sehe; tvām – Dich; dīpta – lodernd; hutāśa-vaktram – Feuer, das aus Deinem Mund kommt; sva-tejasā – durch Deine; viśvam – das Universum; idam – dieses; tapantam – heizt.

ÜBERSETZUNG

Du bist der Ursprung, ohne Anfang, Mitte oder Ende. Du hast zahllose Arme, und die Sonne und der Mond gehören zu Deinen großen, unbegrenzten Augen. Durch Deinen strahlenden Glanz erhitzt Du das gesamte Universum.

ERKLÄRUNG

Dem Ausmaß der sechs Füllen des Höchsten Persönlichen Gottes sind keine Grenzen gesetzt. Hier und an vielen anderen Stellen taucht eine Wiederholung auf – aber nach den Schriften ist die Wiederholung der Herrlichkeiten Kṛṣṇas keine literarische Schwäche. Es wird gesagt, daß bei Verwirrung, Erstaunen oder großer Ekstase die Aussagen immer wieder wiederholt werden. Doch das ist kein Fehler.

VERS 20

द्यावापृथिव्योरिदमन्तरं हि व्याप्तं त्वयैकेन दिशश्च सर्वाः ।
दृष्ट्वाद्भुतं रूपमिदं तवोग्रं लोकत्रयं प्रव्यथितं महात्मन् ॥२०॥

dyāv āpṛthivyor idam antaraṁ hi
vyāptaṁ tvayaikena diśaś ca sarvāḥ
dṛṣṭvādbhutaṁ rūpam ugraṁ tavedaṁ
loka-trayaṁ pravyathitaṁ mahātman

dyau – im äußeren Raum; āpṛthivyoḥ – der Erde; idam – dies; antaram – dazwischen; hi – gewiß; vyāptam – durchdrungen; tvayā – von Dir; ekena – von jemandem; diśaḥ – Richtungen; ca – und; sarvāḥ – alle; dṛṣṭvā – wenn man sieht; adbhutam – wundervolle; rūpam – Form; ugram – fürchterlich; tava – Deine; idam – dieses; loka – Planetensystem; trayam – drei; pravyathitam – verwirrt; mahātman – O Großer.

ÜBERSETZUNG

Obwohl Du eins bist, bist Du dennoch überall im Himmel, in den Planeten und im Raum dazwischen verbreitet. O Erhabener, während ich diese schreckliche Form betrachte, sehe ich, daß die Bewohner aller Planetensysteme bestürzt sind.

ERKLÄRUNG

Dyāv-āpṛthivyoḥ (der Raum zwischen Himmel und Erde) und lokatrayam (die drei Welten) sind bedeutsame Worte in diesem Vers, da anscheinend nicht nur Arjuna die universale Form des Herrn sah, sondern auch andere Lebewesen auf anderen Planetensystemen. Die Erscheinung war kein Traum. Alle, die spirituell wach waren und die göttliche Sicht besaßen, sahen diese Form.

VERS 21

अमी हि त्वां सुरसङ्घा विशन्ति केचिद्भीताः प्राञ्जलयो गृणन्ति ।
स्वस्तीत्युक्त्वा महर्षिसिद्धसङ्घाः स्तुवन्ति त्वां स्तुतिभिः पुष्कलाभिः ॥२१॥

amī hi tvāṁ sura-saṅghā viśanti
kecid bhītāḥ prāñjalayo gṛṇanti
svastīty uktvā maharṣi-siddha-saṅghāḥ
stuvanti tvāṁ stutibhiḥ puṣkalābhiḥ

amī – all diejenigen; hi – gewiß; tvām – in Dich; sura-saṅghāḥ – Gruppen von Halbgöttern; viśanti – gehen ein; kecit – einige von ihnen; bhītaḥ – aus Furcht; prāñjalayaḥ – mit gefalteten Händen; gṛṇanti – bringen Gebete dar; svasti – aller Friede; iti – so; uktvā – in dieser Weise sprechend; maharṣi – große Weise; siddha-saṅghāḥ – vollkommene Weise; stuvanti – Hymnen singend; tvām – Dir; stutibhiḥ – mit Gebeten; puṣkalābhiḥ – vedische Hymnen.

ÜBERSETZUNG

Alle Halbgötter geben sich Dir hin und gehen in Dich ein. Sie fürchten sich sehr und singen mit gefalteten Händen vedische Hymnen.

ERKLÄRUNG

Die Halbgötter in allen Planetensystemen fürchteten sich vor der furchtbaren Manifestation der universalen Form und ihrer glühenden Ausstrahlung und beteten deshalb um Schutz.

VERS 22

रुद्रादित्या वसवो ये च साध्या विश्वेऽश्विनौ मरुतश्चोष्मपाश्च ।
गन्धर्वयक्षासुरसिद्धसङ्घा वीक्षन्ते त्वां विस्मिताश्चैव सर्वे ॥२२॥

rudrādityā vasavo ye ca sādhyā
viśve’śvinau marutaś coṣmapāś ca
gandharva-yakṣāsura-siddha-saṅghā
vīkṣante tvāṁ vismitāś caiva sarve

rudra – Manifestationen Śivas; ādityāḥ – die Ādityas; vasavaḥ – die Vasus; ye – all diese; ca – und; sādhyāḥ – die Sādhyas; viśve – die Viśvadevas; aśvinau – die Aśvinīkumārās; marutaḥ – die Maruts; ca – und; uṣmapāḥ – die Vorväter; ca – und; gandharva – die Gandharvas; yakṣa – die Yakṣas; asura-siddha – die Dämonen und die vollkommenen Halbgötter; saṅghāḥ – Versammlungen; vīkṣante – sehen; tvām – Dich; vismitāḥ – mit Erstaunen; ca – auch; eva – gewiß; sarve – alle.

ÜBERSETZUNG

Die verschiedenen Manifestationen Śivas, die Ādityas, die Vasus, die Sādhyas, die Viśvadevas, die zwei Aśvins, die Māruts, die Vorväter und die Gandharvas, die Yakṣas, die Asuras, und alle vollkommenen Halbgötter betrachten Dich mit Erstaunen.

VERS 23

रुपं महत्ते बहुवक्त्रनेत्रं महाबाहो बहुबाहूरुपादम् ।
बहूदरं बहुदंष्ट्राकरालं दृष्ट्वा लोकाः प्रव्यथितास्तथाहम् ॥२३॥

rūpaṁ mahat te bahu-vaktra-netraṁ
mahā-bāho bahu-bāhūru-pādam
bahūdaraṁ bahu-daṁṣṭrā-karālaṁ
dṛṣṭvā lokāḥ pravyathitās tathāham

rūpam – Form; mahat – sehr groß; te – von Dir; bahu – viele; vaktra – Gesichter; netram – Augen; mahā-bāho – O Starkarmiger; bahu – viele; bāhu – Arme; ūru – Oberschenkel; pādam – Beine; bahu-udaram – viele Bäuche; bahu-daṁṣṭrā – viele Zähne; karālam – fürchterlich; dṛṣṭvā – sehend; lokāḥ – alle Planeten; pravyathitāḥ – verwirrt; tathā – in ähnlicher Weise; aham – ich.

ÜBERSETZUNG

O Starkarmiger, alle Halbgötter sind bestürzt, da sie Deine vielen Gesichter, Augen, Arme, Bäuche, Beine und Deine fürchterlichen Zähne sehen. Und wie sie, so bin auch ich verwirrt.

VERS 24

नभःस्पृशं दीप्तमनेकवर्णं व्यात्ताननं दीप्तविशालनेत्रम् ।
दृष्ट्वा हि त्वां प्रव्यथितान्तरात्मा धृतिं न विन्दामि शमञ्च विष्णो ॥२४॥

nabhaḥ spṛśaṁ dīptam aneka-varṇaṁ
vyāttānanaṁ dīpta-viśāla-netram
dṛṣṭvā hi tvāṁ pravyathitāntarātmā
dhṛtiṁ na vindāmi śamaṁ ca viṣṇo

nabhaḥ spṛśam – den Himmel berührend; dīptam – glühende; aneka – viele; varṇam – Farben; vyāttā – offene; ānanam – Münder; dīpta – glühend; viśāla – sehr große; netram – Augen; dṛṣṭvā – wenn man sieht; hi – gewiß; tvām – Du; pravyathitā – verwirrt; antaḥ – innen; ātmā – Seele; dhṛtim – Beständigkeit; na – keine; vindāmi – und haben; śamam – Gleichmut; ca – auch; viṣṇo – O Śrī Viṣṇu.

ÜBERSETZUNG

O alldurchdringender Viṣṇu, ich kann meinen Gleichmut nicht länger bewahren. Wenn ich sehe, wie Deine leuchtenden Farben den Himmel bedecken, und wenn ich Deine Augen und Münder betrachte, überkommt mich Angst.

VERS 25

दंष्ट्राकरालानि च ते मुखानि दृष्ट्वैव कालानलसन्निभानि ।
दिशो न जाने न लभे च शर्म प्रसीद देवेश जगन्निवास ॥२५॥

daṁṣṭrā-karālāni ca te mukhāni
dṛṣṭvaiva kālānala-sannibhāni
diśo na jāne na labhe ca śarma
prasīda deveśa jagan-nivāsa

daṁṣṭrā – Zähne; karālāni – wie diese; ca – auch; te – Deine; mukhāni – Gesichter; dṛṣṭvā – wenn man sieht; eva – so; kālānala – das Feuer des Todes; sannibhāni – als wenn es lodert; diśaḥ – die Richtungen; na jāne – wissen nicht; na labhe – erhalten auch nicht; ca śarma – und Gnade; prasīda – erfreut sein; deveśa – O Herr aller Herren; jagat-nivāsa – Zuflucht der Welten.

ÜBERSETZUNG

O Herr aller Herren, Zuflucht der Welten, bitte sei mir gnädig. Ich kann meinen Gleichmut nicht bewahren, wenn ich Deine lodernden, todesähnlichen Gesichter und Deine fürchterlichen Zähne sehe. Ich bin völlig verwirrt.

VERS 26–27

अमी च त्वं धृतराष्ट्रस्य पुत्राः सर्वे सहैवावनिपालसङ्घैः ।
भीष्मो द्रोणः सूतपुत्रस्तथासौ सहास्मदीयैरपि योधमुख्यैः ॥२६॥

वक्त्राणि ते त्वरमाणा विशन्ति दंष्ट्राकरालानि भयानकानि ।
केचिद्विलग्ना दशनान्तरेषु सन्दृश्यन्ते चूर्णितैरुत्तमाङ्गैः ॥२७॥

amī ca tvāṁ dhṛtarāṣṭrasya putrāḥ
sarve sahaivāvanipāla-saṅghaiḥ
bhīṣmo droṇaḥ sūta-putras tathāsau
sahāsmadīyair api yodha-mukhyaiḥ

vaktrāṇi te tvaramāṇā viśanti
daṁṣṭrā-karālāni bhayānakāni
kecid vilagnā daśanāntareṣu
sandṛśyante cūrṇitair uttamāṅgaiḥ

amī – all diejenigen; ca – auch; tvām – in Dich; dhṛtarāṣṭasya – Dhṛtarāṣṭras; putrāḥ – Söhne; sarva – alle; saha eva – zusammen mit; avanipāla – kriegerischen Königen; saṅghaiḥ – mit den Gruppen; bhīṣmaḥ – Bhīṣmadeva; droṇaḥ – Droṇācārya; sūta-putraḥ – Karṇa; tathā – auch; asau – das; saha – mit; asmadīyaiḥ – unser; api – auch; yodha-mukhyaiḥ – Oberster unter den Kriegern; vaktrāṇi – Münder; te – Deine; tvaramāṇāḥ – entsetzlich; viśanti – eingehen; daṁṣṭrā – Zähne; karālāni – schrecklich; bhayānakāni – sehr entsetzlich; kecit – einige von ihnen; vilagnāḥ – angegriffen werden; daśanāntareṣu – zwischen den Zähnen; sandṛśyante – gesehen werden; cūrṇitaiḥ – zerschlagen; uttama-aṅgaiḥ – Kopf.

ÜBERSETZUNG

Alle Söhne Dhṛtarāṣṭras stürzen zusammen mit ihren verbündeten Königen, mit Bhīṣma, Droṇa und Karṇa und all unseren Soldaten in Deine Münder, wo ihre Köpfe von Deinen Zähnen zerschmettert werden. Und ich sehe, daß einige zwischen Deinen Zähnen auch zermalmt werden.

ERKLÄRUNG

In einem vorangegangenen Vers versprach der Herr, Arjuna Dinge zu zeigen, die ihn sehr interessieren würden. Nun sieht Arjuna, daß die Führer der Gegenseite (Bhīṣma, Droṇa, Karṇa und alle Söhne Dhṛtarāṣṭras) zusammen mit ihren und auch seinen eigenen Soldaten vernichtet werden. Das deutet darauf hin, daß Arjuna, trotz schwerer Verluste auf beiden Seiten, siegreich aus der Schlacht hervorgehen wird. Es wird hier ebenfalls erwähnt, daß auch Bhīṣma, der als unbesiegbar gilt, erschlagen wird. Das gleiche gilt für Karṇa. Es werden nicht nur die großen Krieger der Gegenseite, wie Bhīṣma, erschlagen werden, sondern auch einige der mächtigen Krieger auf Arjunas Seite.

VERS 28

यथा नदीनां बहवोऽम्बुवेगाः समुद्रमेवाभिमुखा द्रवन्ति ।
तथा तवामी नरलोकवीरा विशन्ति वक्त्राण्यभिविज्वलन्ति ॥२८॥

yathā nadīnāṁ bahavo’mbu-vegāḥ
samudram evābhimukhā dravanti
tathā tavāmī nara-loka-vīrā
viśanti vaktrāṇy abhivijvalanti

yathā – wie; nadīnām – von den Flüssen; bahavaḥ – viele; ambu-vegāḥ – Wellen des Wassers; samudram – in den Ozean; eva – gewiß; abhimukhāḥ – entgegen; dravanti – fließen; tathā – in ähnlicher Weise; tava – Deine; amī – all diejenigen; nara-loka-vīrāḥ – die Könige der menschlichen Gesellschaft; viśanti – gehen ein; vaktrāṇi – in die Münder; abhivijvalanti – lodernde.

ÜBERSETZUNG

Wie sich die Flüsse ins Meer ergießen, so stürzen all diese großen Krieger in Deine lodernden Münder und vergehen.

VERS 29

यथा प्रदीप्तं ज्वलनं पतङ्गा विशन्ति नाशाय समृद्धवेगाः ।
तथैव नाशाय विशन्ति लोकास्तवापि वक्त्राणि समृद्धवेगाः ॥२९॥

yathā pradīptaṁ jvalanaṁ pataṅgā
viśanti nāśāya samṛddha-vegāḥ
tathaiva nāśāya viśanti lokās
tavāpi vaktrāṇi samṛddha-vegāḥ

yathā – wie; pradīptam – loderndes; jvalanam – Feuer; pataṅgāḥ – Motten; viśanti – gehen ein; nāśāya – Zerstörung; samṛddha – volle; vegāḥ – Geschwindigkeit; tathā eva – in ähnlicher Weise; nāśāya – zur Zerstörung; viśanti – eingehen; lokāḥ – alle Menschen; tava – in Dich; api – auch; vaktrāṇi – in die Münder; samṛddha-vegāḥ – mit rasender Geschwindigkeit.

ÜBERSETZUNG

Und gleich Motten, die in ein loderndes Feuer jagen, so sehe ich alle Menschen mit rasender Geschwindigkeit in Deine Münder stürzen.

VERS 30

लेलिह्यसे ग्रसमानः समन्ताल्लोकान्समग्रान्वदनैर्ज्वलद्भिः ।
तेजोभिरापूर्य जगत्समग्रं भासस्तवोग्राः प्रतपन्ति विष्णो ॥३०॥

lelihyase grasamānaḥ samantāl
lokān samagrān vadanair jvaladbhiḥ
tejobhir āpūrya jagat samagraṁ
bhāsas tavogrāḥ pratapanti viṣṇo

lelihyase – leckend; grasamānaḥ – verschluckend; samantāt – aus allen Richtungen; lokān – Menschen; samagrān – vollständig; vadanaiḥ – mit den Mündern; jvaladbhiḥ – mit lodernden; tejobhiḥ – mit Glanz; āpūrya – bedeckend; jagat – das Universum; samagram – alle; bhāsaḥ – Erleuchtung; tava – Deine; ugrāḥ – entsetzlich; pratapanti – verbrennend; viṣṇo – O alldurchdringender Herr.

ÜBERSETZUNG

O Viṣṇu, ich sehe, wie Du alle Menschen mit Deinen flammenden Mündern verschlingst und das Universum mit Deinen unermeßlichen Strahlen erfüllst. Indem Du die Welten versengst, bist Du offenbar.

VERS 31

आख्याहि मे को भवानुग्ररूपो नमोऽस्तु ते देववर प्रसीद ।
विज्ञातुमिच्छामि भवन्तमाद्यं न हि प्रजानामि तव प्रवृत्तिम् ॥३१॥

ākhyāhi me ko bhavān ugra-rūpo
namo’stu te deva-vara prasīda
vijñātum icchāmi bhavantam ādyaṁ
na hi prajānāmi tava pravṛttim

ākhyāhi – bitte erkläre; me – mir; kaḥ – wer; bhavān – Du; ugra-rūpaḥ – entsetzliche Form; namaḥ astu – Ehrerbietungen; te – zu Dir; deva-vara – der größte unter den Halbgöttern; prasīda – sei gnädig; vijñātum – lediglich, um zu wissen; icchāmi – ich möchte; bhavantam – Du; ādyam – der ursprüngliche; na – niemals; hi – gewiß; prajānāmi – weiß ich; tava – Dein; pravṛttim – Vorhaben.

ÜBERSETZUNG

O Herr der Herren, schreckliche Gestalt, bitte sage mir, wer Du bist. Ich bringe Dir meine Ehrerbietungen dar, bitte sei mir gnädig. Ich weiß nicht, was Dein Vorhaben ist, doch ich möchte davon hören.

VERS 32

श्रीभगवानुवाच ।
कालोऽस्मि लोकक्षयकृत्प्रवृद्धो लोकान्समाहर्तुमिह प्रवृत्तः ।
ऋतेऽपि त्वां न भविष्यन्ति सर्वे येऽवस्थिताः प्रत्यनीकेषु योधाः ॥३२॥

śrī bhagavān uvāca
kālo ’smi loka-kṣaya-kṛt pravṛddho
lokān samāhartum iha pravṛttaḥ
ṛte’pi tvāṁ na bhaviṣyanti sarve
ye’vasthitāḥ pratyanīkeṣu yodhāḥ

śrī bhagavān uvāca – der Persönliche Gott sagte; kālaḥ – Zeit; asmi – Ich bin; loka – die Welten; kṣaya-kṛt – Zerstörer; pravṛddhaḥ – zu beschäftigen; lokān – alle Menschen; samāhartum – zu zerstören; iha – in dieser Welt; pravṛttaḥ – zu beschäftigen; ṛte api – selbst ohne; tvām – du; na – niemals; bhaviṣyanti – wird sein; sarve – alle; ye – wer; avasthitāḥ – befindlich; pratyanīkeṣu – auf der Gegenseite; yodhāḥ – die Soldaten.

ÜBERSETZUNG

Der Höchste Herr sagte: Zeit bin Ich, die Zerstörerin der Welten, und Ich bin gekommen, um alle Menschen in der Schlacht zu verschlingen. Außer euch [den Pāṇḍavas], werden alle Soldaten auf beiden Seiten erschlagen werden.

ERKLÄRUNG

Obwohl Arjuna wußte, daß Kṛṣṇa sein Freund und der Höchste Persönliche Gott war, war er dennoch von den verschiedenen Formen, die Kṛṣṇa offenbarte, verwirrt. Deshalb stellte er noch weitere Fragen nach dem eigentlichen Vorhaben dieser zerstörenden Kraft. In den Veden steht geschrieben, daß die Höchste Wahrheit alles, selbst Brahmā, zerstört:

yasya brahme ca kṣatram ca ubhe bhavata odanaḥ
mṛtyur yasyopasecanaṁ ka itthā veda yatra saḥ

„Zur Zeit der Vernichtung werden alle brāhmaṇas, kṣatriyas und alle anderen Lebewesen vom Höchsten verschlungen.“

Diese Form des Höchsten Herrn ist ein alles-verschlingender Gigant, und Kṛṣṇa zeigt Sich hier in dieser Form der alles-verschlingenden Zeit. Außer den Pāṇdavas würde jeder, der auf dem Schlachtfeld anwesend war, von Ihm verschlungen werden.

Arjuna konnte keinen Gefallen an dem Kampf finden, und so hielt er es für besser, nicht zu kämpfen; er dachte, daß er auf diese Weise nicht frustriert werden würde. Darauf antwortete ihm der Herr, daß jeder vernichtet werde, da dies Sein Plan sei – selbst wenn Arjuna nicht kämpfte. Würde er aufhören zu kämpfen, würden sie auf andere Weise sterben. Selbst wenn er nicht kämpfte, könnte ihr Tod nicht aufgehalten werden. Tatsächlich waren sie bereits tot. Die Zeit ist die eigentliche Zerstörung, denn alle Manifestationen sind gezwungen, durch den Willen des Höchsten Herrn im Laufe der Zeit zu vergehen. Das ist das Gesetz der Natur.

VERS 33

तस्मात्त्वमुत्तिष्ठ यशो लभस्व जित्वा शत्रून्भुङ्क्ष्व राज्यं समृद्धम् ।
मयैवैते निहताः पूर्वमेव निमित्तमात्रं भव सव्यसाचिन् ॥३३॥

tasmāt tvam uttiṣṭha yaśo labhasva
jitvā śatrūn bhuṅkṣva rājyaṁ samṛddham
mayaivaite nihatāḥ pūrvam eva
nimitta-mātraṁ bhava savyasācin

tasmāt – deshalb; tvam – du; uttiṣṭha – stehe auf; yaśaḥ – Ruhm; labhasva – Gewinn; jitvā – erobernd; śatrūn – Feinde; bhuṅkṣva – genießen; rājyam – Königreich; samṛddham – blühend; mayā – von Mir; eva – gewiß; ete – all diese; nihatāḥ – bereits getötet; pūrvam eva – durch bereits getroffene Vorkehrungen; nimitta-mātram – werde ganz einfach die Ursache; bhava – werde; savyasācin – O Savyasācin.

ÜBERSETZUNG

Darum erhebe dich und rüste dich zum Kampf. Nachdem du deine Feinde besiegt hast, wirst du dich eines blühenden Königreiches erfreuen. Durch Meinen Willen sind sie bereits getötet worden, und du, o Savyasācin, kannst in diesem Kampf nur ein Instrument sein.

ERKLÄRUNG

Savyasācin bezieht sich auf jemandem, der im Schlachtfeld sehr gut mit Pfeilen schießen kann; daher wird Arjuna als erfahrener Krieger angeredet, der fähig ist, seine Feinde mit Pfeilen zu töten. „Werde einfach ein Instrument“, nimitta-mātram. Auch dieses Wort ist sehr bedeutsam. Die ganze Welt bewegt sich nach dem Plan des Höchsten Persönlichen Gottes. Dumme Menschen, die über kein ausreichendes Wissen verfügen, denken, die Natur arbeite ohne Plan und alle Manifestationen seien nichts als zufällige Gebilde. Es gibt viele sogenannte Wissenschaftler, die vermuten, daß es „vielleicht so war“ oder „eventuell so sein könnte“, aber von „vielleicht“ oder „eventuell“ kann keine Rede sein. Die gesamte materielle Welt läuft nach einem bestimmten Plan ab. Und wie sieht dieser Plan aus? Die kosmische Manifestation ist für die bedingten Seelen eine Möglichkeit, zurück zu Gott, zurück nach Hause, zu gehen. Solange in ihnen die Neigung dominiert, über die materielle Natur zu herrschen, sind sie bedingt. Doch jeder, der den Plan des Höchsten Herrn verstehen und Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickeln kann, ist überaus intelligent. Schöpfung und Zerstörung der kosmischen Manifestation unterstehen der höheren Führung Gottes. Daher wurde die Schlacht von Kurukṣetra nach dem Plan Gottes gekämpft. Arjuna weigerte sich, von seinen Waffen Gebrauch zu machen, doch Kṛṣṇa gab ihm die Anweisung, zu kämpfen und zur gleichen Zeit an Ihn zu denken – dann würde er glücklich sein. Wenn man völlig Kṛṣṇa-bewußt ist und sein Leben dem transzendentalen Dienst des Herrn geweiht hat, hat man die Vollkommenheit erreicht.

VERS 34

द्रोणञ्च भीष्मञ्च जयद्रथञ्च कर्णं तथान्यानपि योधवीरान् ।
मया हतांस्त्वं जहि माव्यथिष्ठा युध्यस्व जेतासि रणे सपत्नान् ॥३४॥

droṇaṁ ca bhīṣmaṁ ca jayadrathaṁ ca
karṇaṁ tathānyān api yodha-vīrān
mayā hatāṁs tvaṁ jahi mā vyathiṣṭhā
yudhyasva jetāsi raṇe sapatnān

droṇam ca – auch Droṇa; bhīṣmam ca – auch Bhīṣma; jayadratham ca – auch Jayadratha; karṇam – auch Karṇa; tathā – auch; anyān – andere; api – gewiß; yodha-vīrān – große Krieger; mayā – von Mir; hatān – bereits getötet; tvam – du; jahi – werde siegreich; – niemals; vyathiṣṭhāḥ – sei gestört; yudhyasva – kämpfe nur; jetāsi – besiege nur; raṇe – im Kampf; sapatnān – Feinde.

ÜBERSETZUNG

Der Höchste Herr sagte: All die großen Krieger wie Droṇa, Bhīṣma, Jayadratha und Karṇa sind bereits getötet worden. Kämpfe nur, und du wirst deine Feinde vernichten.

ERKLÄRUNG

Jeder Plan wird vom Höchsten Persönlichen Gott entworfen, doch Er ist so gütig und barmherzig gegenüber Seinen Geweihten, daß Er die Anerkennung für die erfolgreiche Durchführung Seiner Pläne den Gottgeweihten zukommen lassen möchte, die diese Pläne verwirklichen. Jeder sollte daher sein Leben in solcher Weise gestalten, daß er im Kṛṣṇa-Bewußtsein handeln und den Höchsten Persönlichen Gott durch das Medium des geistigen Meisters verstehen kann. Die Pläne des Höchsten Persönlichen Gottes erkennt man durch die Barmherzigkeit des Herrn, und die Pläne der Gottgeweihten sind mit Seinen Plänen so gut wie identisch. Deshalb sollte man solchen Plänen folgen und auf diese Weise aus dem Kampf ums Dasein siegreich hervorgehen.

VERS 35

सञ्जय उवाच ।
एतच्छ्रुत्वा वचनं केशवस्य कृताञ्जलिर्वेपमानः किरीती ।
नमस्कृत्वा भूय एवाह कृष्णं सगद्गदं भीतभीतः प्रणम्य ॥३५॥

sañjaya uvāca
etac chrutvā vacanaṁ keśavasya
kṛtāñjalir vepamānaḥ kirītī
namaskṛtvā bhūya evāha kṛṣṇaṁ
sa-gadgadaṁ bhīta-bhītaḥ praṇamya

sañjayaḥ uvāca – Sañjaya sagte; etat – so; śrutvā – hörend; vacanam – Rede; keśavasya – Kṛṣṇas; kṛtāñjaliḥ – mit gefalteten Händen; vepamānaḥ – zitternd; kirītī – Arjuna; namaskṛtvā – Ehrerbietungen darbringend; bhūyaḥ – wieder; eva – auch; āha kṛṣṇam – sagte zu Kṛṣṇa; sa-gadgadam – stockend; bhīta-bhītaḥ – ängstlich; praṇamya – Ehrerbietungen darbringend.

ÜBERSETZUNG

Sañjaya sagte zu Dhṛtarāṣṭra: O König, nachdem Arjuna diese Worte vom Höchsten Persönlichen Gott vernommen hatte, erbebte er und brachte Ihm ehrfürchtig, mit gefalteten Händen, seine Ehrerbietungen dar und begann stockend wie folgt zu sprechen:

ERKLÄRUNG

Wie bereits erklärt worden ist, wurde Arjuna durch die Situation, die von der universalen Form des Herrn geschaffen wurde, gleichzeitig erstaunt und verwirrt. Daher brachte er Kṛṣṇa immer wieder seine respektvollen Ehrerbietungen dar und begann, nicht als Freund, sondern als Gottgeweihter in Erstaunen, mit bebender Stimme zu beten.

VERS 36

अर्जुन उवाच ।
स्थाने हृषीकेश तव प्रकीर्त्या जगत्प्रहृष्यत्यनुरज्यते च ।
रक्षांसि भीतानि दिशो द्रवन्ति सर्वे नमस्यन्ति च सिद्धसङ्घाः ॥३६॥

arjuna uvāca
sthāne hṛṣīkeśa tava prakīrtyā
jagat prahṛṣyaty anurajyate ca
rakṣāṁsi bhītāni diśo dravanti
sarve namasyanti ca siddha-saṅghāḥ

arjunaḥ uvāca – Arjuna sagte; sthāne – richtig; hṛṣīkeśa – O Herr über alle Sinne; tava – Dein; prakīrtya – Ruhm; jagat – die gesamte Welt; prahṛṣyati – erfreut; anurajyate – angezogen werden; rakṣāṁsi – die Dämonen; bhītāni – aus Furcht; diśaḥ – Richtungen; dravanti – fliehen; sarve – alle; namasyanti – Ehre erweisend; ca – auch; siddha-saṅghāḥ – die vollkommenen menschlichen Wesen.

ÜBERSETZUNG

Arjuna sagte: O Hṛṣīkeśa, die Welt wird von Freude erfüllt, wenn sie Deinen Namen hört, und somit fühlt sich jeder zu Dir hingezogen. Während Dir die vollkommenen Wesen ihre respektvollen Ehrerbietungen darbringen, werden die Dämonen von Angst ergriffen und fliehen nach allen Seiten. All dies geschieht in rechter Weise.

ERKLÄRUNG

Nachdem Arjuna über den Ausgang der Schlacht gehört hatte, wurde er zu einem erleuchteten Geweihten des Höchsten Herrn. Er gab zu, daß alles, was von Kṛṣṇa getan wird, richtig ist. Arjuna bestätigte, daß Kṛṣṇa für den Gottgeweihten der Erhalter, das Ziel der Verehrung und der Zerstörer der Dämonen ist. Seine Handlungen wirken sich für alle gleich aus.

Arjuna sah, daß gegen Ende der Schlacht von Kurukṣetra viele Halbgötter, Siddhas und die intelligenten Lebewesen der höheren Planeten zugegen sein und den Kampf beobachten würden, weil Kṛṣṇa dort anwesend wäre. Als Arjuna die universale Form des Herrn sah, hatten die Halbgötter ihre Freude an ihr, wohingegen die Dämonen und Atheisten es nicht ertragen konnten, daß der Herr gepriesen wurde. Aus natürlicher Furcht vor der vernichtenden Form des Höchsten Persönlichen Gottes ergriffen sie die Flucht. Arjuna rühmt die Art und Weise, wie Kṛṣṇa die Gottgeweihten und die Atheisten behandelt. Ein Gottgeweihter lobpreist den Herrn immer, denn er weiß, daß alles, was der Herr tut, für alle gut ist.

VERS 37

कस्माच्च ते न नमेरन्महात्मन् गरीयसे ब्रह्मणोऽप्यादिकर्त्रे ।
अनन्त देवेश जगन्निवास त्वमक्षरं सदसत्तत्परं यत् ॥३७॥

kasmāc ca te na nameran mahātman
garīyase brahmaṇo ’py ādi-kartre
ananta deveśa jagan-nivāsa
tvam akṣaraṁ sad-asat tat-paraṁ yat

kasmāt – warum; ca – auch; te – Dir; na – nicht; nameran – erweise richtige Ehrerbietungen; mahātman – O Erhabener; garīyase – Du bist besser als; brahmaṇaḥ – Brahmā; api – obwohl; ādi-kartre – der höchste Schöpfer; ananta – unbegrenzt; deveśa – O Gott der Götter; jagat-nivāsa – O Zuflucht des Universums; tvam – Du bist; akṣaram – unvergänglich; sat-asat – Ursache und Wirkung; tat-param – transzendental; yat – weil.

ÜBERSETZUNG

O Erhabener, der Du selbst über Brahmā stehst, Du bist der ursprüngliche Meister. Warum sollten sie Dir nicht ihre Ehrerbietungen darbringen, o Grenzenloser? O Zuflucht des Universums, Du bist die unüberwindliche Quelle, die Ursache aller Ursachen, und Du bist transzendental zur materiellen Manifestation.

ERKLÄRUNG

Indem Arjuna diese Ehrerbietungen darbringt, weist er darauf hin, daß Kṛṣṇa von jedem verehrt werden muß. Er ist alldurchdringend und die Seele jeder Seele. Arjuna redet Kṛṣṇa hier mit mahātmā an, was bedeutet, daß Er sehr großmütig und unbegrenzt ist. Ananta deutet an, daß es nichts gibt, was nicht vom Einfluß und der Energie des Höchsten Herrn erfaßt wird, und deveśa bedeutet, daß Er alle Halbgötter kontrolliert und über ihnen steht. Er ist das Zentrum des gesamten Universums. Arjuna dachte auch, daß es angemessen wäre, wenn alle vollkommenen Lebewesen und mächtigen Halbgötter dem Herrn ihre respektvollen Ehrerbietungen darbringen würden, da niemand größer ist als Er. Er erwähnt hier ganz besonders, daß Kṛṣṇa größer ist als Brahmā, da Brahmā von Ihm geschaffen worden ist. Brahmā wurde aus dem Lotusstengel geboren, der aus dem Nabel Garbhodakaśāyī Viṣṇus wächst, Kṛṣṇas vollständiger Erweiterung; deshalb müssen Brahmā und der von ihm geborene Śiva und alle anderen Halbgötter dem Herrn ihre respektvollen Ehrerbietungen erweisen. Der Herr wird also auch von Śiva, Brahmā und ähnlichen anderen Halbgöttern respektiert. Das Wort akṣaram ist sehr bedeutsam, da zwar die materielle Schöpfung der Zerstörung ausgesetzt ist, der Herr jedoch über der materiellen Schöpfung steht. Er ist die Ursache aller Ursachen, und so steht Er sowohl über allen bedingten Seelen in der materiellen Welt als auch über der materiellen kosmischen Manifestation selbst. Deshalb ist Er der allerhabene Höchste.

VERS 38

त्वमादिदेवः पुरुषः पुराणस्त्वमस्य विश्वस्य परं निधानम् ।
वेत्ताऽसि वेद्यञ्च परञ्च धाम त्वया ततं विश्वमनन्तरूप ॥३८॥

tvam ādi-devaḥ puruṣaḥ purāṇas
tvam asya viśvasya paraṁ nidhānam
vettāsi vedyaṁ ca paraṁ ca dhāma
tvayā tataṁ viśvam ananta-rūpa

tvam – Du; ādi-devaḥ – der ursprüngliche Höchste Gott; puruṣaḥ – Persönlichkeit; purāṇaḥ – alt; tvam – Du; asya – dieses; viśvasya – Universum; param – transzendental; nidhānam – Zuflucht; vettā – Kenner; asi – Du bist; vedyam ca – und der zu Erkennende; param ca – und transzendental; dhāma – Zuflucht; tvayā – von Dir; tatam – durchdrungen; viśvam – Universum; ananta-rūpa – unbegrenzte Form.

ÜBERSETZUNG

Du bist die ursprüngliche Persönlichkeit, der Höchste Gott. Du bist das einzige Allerheiligste der manifestierten kosmischen Welt. Du weißt alles, und außer Dir gibt es nichts zu erkennen. Du stehst über den materiellen Erscheinungsweisen. O grenzenlose Form, die gesamte kosmische Manifestation wird von Dir durchdrungen.

ERKLÄRUNG

Alles ruht auf dem Höchsten Persönlichen Gott; deshalb ist Er der endgültige Ruheort. Nidhānam bedeutet, daß alles, selbst der Glanz des Brahman, auf dem Höchsten Persönlichen Gott Kṛṣṇa ruht. Er weiß alles, was in dieser Welt geschieht, und wenn Wissen irgendein Ende hat, so ist Er das Ende allen Wissens; daher ist Er der Kenner und derjenige, der zu erkennen ist. Er ist das Ziel des Wissens, da Er alldurchdringend ist. Weil Er, als die höchste Ursache, in der spirituellen Welt weilt, ist Er transzendental, und Er ist auch die höchste Persönlichkeit in der transzendentalen Welt.

VERS 39

वायुर्यमोऽग्निर्वरुणः शशाङ्कः प्रजापतिस्त्वं प्रपितामहश्च ।
नमो नमस्तेऽस्तु सहस्रकृत्वः पुनश्च भूयोऽपि नमो नमस्ते ॥३९॥

vāyur yamo’gnir varuṇaḥ śaśāṅkaḥ
prajāpatis tvaṁ prapitāmahaś ca
namo namas te ’stu sahasra-kṛtvaḥ
punaś ca bhūyo ’pi namo namas te

vāyuḥ – Luft; yamaḥ – Kontrollierender; agniḥ – Feuer; varuṇaḥ – Wasser; śaśāṅkaḥ – Mond; prajāpatiḥ – Brahmā; tvam – Du; prapitāmahaḥ – Großvater; ca – auch; namaḥ – Ehrerbietungen erweisend; namaḥ te – wieder erweise ich Dir meine Ehrerbietungen; astu – sind; sahasra-kṛtvaḥ – tausendmal; punaḥ ca – und wieder; bhūyaḥ – wieder; api – auch; namaḥ – erweise meine Ehrerbietungen; namaḥ te – meine Ehrerbietungen Dir darbringend.

ÜBERSETZUNG

Du bist Luft, Feuer, Wasser, und Du bist der Mond. Du bist der höchste Kontrollierende und der Großvater. Daher bringe ich Dir tausendmal und immer und immer wieder meine respektvollen Ehrerbietungen dar.

ERKLÄRUNG

Hier wird der Herr als Luft bezeichnet, denn die Luft ist die wichtigste Repräsentation aller Halbgötter, da sie alldurchdringend ist. Arjuna redet Kṛṣṇa auch mit Großvater an, weil Kṛṣṇa der Vater Brahmās ist, des ersten Lebewesens im Universum.

VERS 40

नमः पुरस्तादथ पृष्ठतस्ते नमोऽस्तु ते सर्वत एव सर्व ।
अनन्तवीर्यामितविक्रमस्त्वं सर्वं समाप्नोषि ततोऽसि सर्वः ॥४०॥

namaḥ purastād atha pṛṣṭhatas te
namo ’stu te sarvata eva sarva
ananta-vīryāmita-vikramas tvaṁ
sarvaṁ samāpnoṣi tato ’si sarvaḥ

namaḥ – Ehrerbietungen darbringend; purastāt – von vorne; atha – auch; pṛṣṭhataḥ – von hinten; te – Du; namaḥ astu – erweise meine Ehrerbietungen; te – Dir; sarvataḥ – von allen Seiten; eva sarva – weil Du alles bist; ananta-vīrya – unbegrenzte Energie; amita-vikramaḥ – unbegrenzte Macht; tvam – Du; sarvam – alles; samāpnoṣi – bedeckst; tataḥ asi – deshalb bist Du; sarvaḥ – alles.

ÜBERSETZUNG

Ehrerbietungen seien Dir von vorne, von hinten und von allen Seiten dargebracht. O ungebundene Kraft, Du bist der Herr über unbegrenzte Macht. Du bist alldurchdringend, und daher bist Du alles.

ERKLÄRUNG

Aus liebender Ekstase erweist Arjuna seinem Freund Kṛṣṇa von allen Seiten seine Ehrerbietungen. Er akzeptiert, daß Er der Herr über alle Kräfte und alle Tapferkeit ist, und daß Er allen großen Kriegern, die auf dem Schlachtfeld versammelt sind, weit überlegen ist. Im Viṣṇu Purāṇa heißt es:

yo’yaṁ tavāgato
deva-samīpaṁ devatā-gaṇaḥ
sa tvam eva jagat-sraṣṭā
yataḥ sarva-gato bhavān.

„Wer auch immer vor Dich tritt – selbst wenn es ein Halbgott ist – ist von Dir erschaffen, O Höchster Persönlicher Gott.“

VERS 41–42

सखेति मत्वा प्रसभं यदुक्तं हे कृष्ण हे यादव हे सखेति ।
अजानता महिमानं तवेदं मया प्रमादात्प्रणयेन वापि ॥४१॥

यच्चावहासार्थमसत्कृतोऽसि विहारशय्यासनभोजनेषु ।
एकोऽथवाप्यच्युत तत्समक्षं तत्क्षामये त्वामहमप्रमेयम् ॥४२॥

sakheti matvā prasabhaṁ yad uktaṁ
he kṛṣṇa he yādava he sakheti
ajānatā mahimānaṁ tavedaṁ
mayā pramādāt praṇayena vāpi

yac cāvahāsārtham asatkṛto ’si
vihāra-śayyāsana-bhojaneṣu
eko ’thavāpy acyuta tat-samakṣaṁ
tat kṣāmaye tvām aham aprameyam

sakhā – Freund; iti – so; matvā – denkend; prasabham – zeitweilig; yat – was auch immer; uktam – gesagt; he kṛṣṇa – O Kṛṣṇa; he yādava – O Yādava; he sakhā iti – O mein lieber Freund; ajānatā – ohne zu kennen; mahimānam – Herrlichkeiten; tava – Deine; idam – dieses; mayā – von mir; pramādāt – aus Torheit; pranayena – aus Liebe; vā api – entweder; yat – was immer; ca – auch; avahāsārtham – als Scherz; asatkṛtaḥ – Schmach; asi – getan haben; vihāra – beim Ausruhen; śayyā – beim Scherzen; āsana – auf einer Ruhestatt; bhojaneṣu – oder beim gemeinsamen Essen; ekaḥ – allein; athavā – oder; api – andere; acyuta – O Unfehlbarer; tat-samakṣaṁ – als Dein Rivale; tat – all diejenigen; kṣāmaye – entschuldige; tvām – Du; aham – ich; aprameyam – unermeßlich.

ÜBERSETZUNG

Ohne Deine Herrlichkeit zu kennen, habe ich Dich in der Vergangenheit mit „o Kṛṣṇa“, „o Yādava“, „o mein Freund“ angeredet. Bitte vergib mir, was immer ich in Verrücktheit oder aus Liebe getan haben mag. Ich habe Dich – manchmal allein und manchmal vor vielen Freunden – viele Male beleidigt, während wir uns ausruhten oder auf dem gleichen Bett lagen oder zusammen speisten. Bitte verzeih mir all meine Vergehen.

ERKLÄRUNG

Obwohl Kṛṣṇa in Seiner universalen Form vor Arjuna manifestiert ist, erinnert sich Arjuna an seine freundschaftliche Beziehung zu Kṛṣṇa und bittet Ihn daher um Vergebung für seine vielen ungezwungenen Gesten, die aus Freundschaft entstanden waren. Er gesteht ein, daß er früher nicht gewußt hat, daß Kṛṣṇa solch eine universale Form annehmen kann, obwohl Kṛṣṇa ihm dies, als vertrautem Freund, erklärt hatte. Arjuna wußte nicht, wie oft er Ihn beleidigt hatte, als er Ihn, ohne Seine unermeßlichen Füllen zu erkennen, mit „o Mein Freund, o Kṛṣṇa, o Yādava“ angeredet hatte. Aber Kṛṣṇa war so gütig und barmherzig, daß Er trotz so vieler Füllen Arjuna als Seinen Freund behandelte. Das ist der transzendentale liebende Austausch zwischen dem Gottgeweihten und dem Herrn. Die Beziehung zwischen dem Lebewesen und Kṛṣṇa steht ewiglich fest, und wie wir aus dem Verhalten Arjunas ersehen können, kann sie nicht vergessen werden. Obwohl Arjuna die Füllen Kṛṣṇas in der universalen Form gesehen hatte, konnte er seine freundschaftliche Beziehung zu Ihm dennoch nicht vergessen.

VERS 43

पितासि लोकस्य चराचरस्य त्वमस्य पूज्यश्च गुरुर्गरीयान् ।
न त्वत्समोऽस्त्यभ्यधिकः कुतोऽन्यो लोकत्रयेऽप्यप्रतिमप्रभाव ॥४३॥

pitāsi lokasya carācarasya
tvam asya pūjyaś ca gurur garīyān
na tvat-samo’sty abhyadhikaḥ kuto ’nyo
loka-traye ’py apratima-prabhāva

pitā – Vater; asi – Du bist; lokasya – von allen Welten; cara – sich bewegend; acarasya – sich nicht bewegend; tvam – Du bist; asya – davon; pūjyaḥ – verehrungswürdig; ca – auch; guruḥ – Meister; garīyān – berühmt; na – niemals; tvat-samaḥ – Dir gleich; asti – dort ist; abhyadhikaḥ – größer; kutaḥ – wie ist es möglich; anyaḥ – andere; loka-traye – in drei Planetensystemen; api – auch; apratima – unermeßlich; prabhāva – Macht.

ÜBERSETZUNG

Du bist der Vater der gesamten kosmischen Manifestation; Du bist der Herr, dem alle Verehrung gebührt, und Du bist der geistige Meister. Niemand kommt Dir gleich, noch kann jemand eins mit Dir sein. Es gibt niemanden in den drei Welten, der Dich ermessen könnte.

ERKLÄRUNG

Kṛṣṇa, der Herr, muß vom Lebewesen verehrt werden wie der Vater vom Sohn. Er ist der geistige Meister, weil Er ursprünglich Brahmā in den Veden unterwies und gegenwärtig Arjuna die Bhagavad-gītā lehrt; deshalb ist Er der ursprüngliche geistige Meister, und jeder echte geistige Meister muß ein Schüler in der Nachfolge der geistigen Meister sein, die von Kṛṣṇa ausgeht. Ohne ein Repräsentant Kṛṣṇas zu sein, kann man kein geistiger Meister oder Lehrer transzendentaler Inhalte werden.

Dem Herrn werden in jeder Hinsicht Ehrerbietungen dargebracht. Er ist von unermeßlicher Größe. Niemand kann größer sein als der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, denn es gibt niemanden innerhalb aller Manifestationen – ob spirituell oder materiell – der Kṛṣṇa gleichkommt oder größer ist als Er. Jeder ist Ihm untergeordnet. Niemand kann Ihn übertreffen.

Der Höchste Herr Śrī Kṛṣṇa hat, ähnlich wie ein gewöhnlicher Mensch, Sinne und einen Körper; doch für Ihn besteht kein Unterschied zwischen Seinen Sinnen, Seinem Körper, Seinem Geist und Ihm Selbst. Unwissende Menschen, die Kṛṣṇa nicht kennen, behaupten, Er sei von Seiner Seele, Seinem Geist und allem anderen verschieden, doch Kṛṣṇa ist absolut, und deshalb sind Seine Aktivitäten und Kräfte unvergleichlich und erhaben. In den Schriften steht auch geschrieben, daß Seine Sinne nicht wie die unseren sind. Er kann alle sinnlichen Aktivitäten ausführen, und daher sind Seine Sinne weder unvollkommen noch begrenzt. Niemand kann größer sein als Er, niemand kann Ihm gleichkommen, und jeder ist geringer als Er.

Wer auch immer Seinen transzendentalen Körper, Seine Aktivitäten und Seine Vollkommenheit kennt, gelangt, nachdem er den Körper verlassen hat, zu Ihm und kehrt nicht wieder in die leidvolle materielle Welt zurück. Man sollte daher wissen, daß die Aktivitäten Kṛṣṇas von denen anderer Lebewesen verschieden sind. Es ist das beste, den Unterweisungen Kṛṣṇas einfach zu folgen; das wird einen Menschen zur Vollkommenheit führen. Es steht auch geschrieben, daß niemand Kṛṣṇas Meister ist; jeder ist Sein Diener. Allein Kṛṣṇa ist Gott; jeder andere ist Diener. Jeder fügt sich Seiner Anordnung. Es gibt niemanden, der sich Seiner Anordnung widersetzen kann. Jeder handelt nach Seiner Weisung, da er unter Seiner Oberaufsicht steht. Wie es in der Brahma-saṁhitā heißt, ist Er die Ursache aller Ursachen.

VERS 44

तस्मात्प्रणम्य प्रणिधाय कायं प्रसादये त्वामहमीशमीड्यम् ।
पितेव पुत्रस्य सखेव सख्युः प्रियः प्रियायार्हसि देव सोढुम् ॥४४॥

tasmāt praṇamya praṇidhāya kāyaṁ
prasādaye tvām aham īśam īḍyam
piteva putrasya sakheva sakhyuḥ
priyaḥ priyāyārhasi deva soḍhum

tasmāt – deshalb; praṇamya – nachdem er seine Ehrerbietungen erwiesen hatte; praṇidhāya – niederlegen; kāyam – Körper; prasādaye – um Barmherzigkeit flehen; tvām – zu Dir; aham – ich; īśam – zum Höchsten Herrn; īḍyam – der verehrungswürdig ist; pitā iva – wie ein Vater; putrasya – den Sohn; sakhā iva – wie ein Freund; sakhyuḥ – den Freund; priyaḥ – Liebender; priyāyāḥ – die Liebste; arhasi – Du solltest; deva – mein Herr; soḍhum – dulden.

ÜBERSETZUNG

Du bist der Höchste Herr, der von jedem Lebewesen verehrt werden muß. Daher falle ich nieder, um Dir meine Ehrerbietungen zu erweisen und Deine Barmherzigkeit zu erflehen. Bitte übersieh die Kränkungen, die ich Dir zugefügt haben mag, und dulde mich wie ein Vater seinen Sohn, ein Freund seinen Freund oder ein Liebender seine Geliebte duldet.

ERKLÄRUNG

Kṛṣṇas Geweihte sind mit Kṛṣṇa in verschiedenen Beziehungen verbunden. Einer mag Kṛṣṇa wie einen Sohn behandeln, ein anderer mag Ihn wie einen Geliebten behandeln und wieder ein anderer behandelt Ihn vielleicht wie einen Freund oder Meister. Kṛṣṇa und Arjuna sind durch Freundschaft miteinander verbunden. Wie der Vater, der Liebende oder der Meister duldsam ist, so ist es auch Kṛṣṇa.

VERS 45

अदृष्टपूर्वं हृषितोऽस्मि दृष्ट्वा भयेन च प्रव्यथितं मनो मे ।
तदेव मे दर्शय देव रूपं प्रसीद देवेश जगन्निवास ॥४५॥

adṛṣṭa-pūrvaṁ hṛṣito ’smi dṛṣṭvā
bhayena ca pravyathitaṁ mano me
tad eva me darśaya deva rūpaṁ
prasīda deveśa jagan-nivāsa

adṛṣṭa-pūrvam – niemals zuvor gesehen worden; hṛṣitaḥ – beglückt; asmi – ich bin; dṛṣṭvā – durch Sehen; bhayena – aus Furcht; ca – auch; pravyathitam – verwirrt; manaḥ – Geist; me – mein; tat – deshalb; eva – gewiß; me – mir; darśaya – zeige; deva – O Herr; rūpam – die Form; prasīda – sei gnädig; deveśa – O Herr der Herren; jagat-nivāsa – O Zuflucht des Universums.

ÜBERSETZUNG

Nachdem ich die universale Form gesehen habe, die ich niemals zuvor sah, bin ich von Glück erfüllt; doch zur gleichen Zeit ist mein Geist von Angst verwirrt. Sei mir daher bitte gnädig, und offenbare wieder Deine Gestalt als der Persönliche Gott, o Herr der Herren, Zuflucht des Universums.

ERKLÄRUNG

Arjuna hat immer Vertrauen zu Kṛṣṇa, weil er dessen lieber Freund und daher über den Reichtum seines Freundes beglückt ist. Arjuna ist sehr erfreut, als er sieht, daß sein Freund Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist und solch eine wunderbare universale Form zeigen kann. Nachdem er die universale Form gesehen hat, befürchtet er jedoch zur gleichen Zeit, daß er in seiner unverfälschten Freundschaft viele Vergehen gegen Kṛṣṇa begangen hat. Obwohl er keinen Grund hatte, sich zu fürchten, hat Angst seinen Geist verwirrt. Arjuna bittet Kṛṣṇa daher, Seine Nārāyaṇa-Form zu zeigen, da der Herr jede beliebige Form annehmen kann. Die universale Form ist materiell und ebenso zeitweilig wie die materielle Welt; doch in den Vaikuṇṭha-Planeten hält Sich Kṛṣṇa in Seiner vierhändigen transzendentalen Gestalt als Nārāyaṇa auf. Es gibt unzählige Planeten in der spirituellen Welt, und auf jedem dieser Planeten ist Kṛṣṇa in Seinen vollständigen Manifestationen unter verschiedenen Namen gegenwärtig. Arjuna wollte also eine der Formen sehen, die auf den Vaikuṇṭha-Planeten manifestiert sind. Auf jedem Vaikuṇtha-Planeten ist die Gestalt Nārāyaṇas vierhändig, und die vier Hände halten verschiedene Symbole: das Muschelhorn, die Keule, den Lotus und das Feuerrad. Entsprechend den verschiedenen Händen, in denen diese Symbole gehalten werden, tragen die Nārāyaṇas verschiedene Namen. All diese Formen sind für Kṛṣṇa eins; und daher bittet Arjuna, Seine vierhändige Erscheinung sehen zu dürfen.

VERS 46

किरीटिनं गदिनं चक्रहस्तमिच्छामि त्वां द्रष्टुमहं तथैव ।
तेनैव रूपेण चतुर्भुजेन सहस्रबाहो भव विश्वमूर्त्ते ॥४६॥

kirīṭinaṁ gadinaṁ cakra-hastam
icchāmi tvāṁ draṣṭum ahaṁ tathaiva
tenaiva rūpeṇa catur-bhujena
sahasra-bāho bhava viśva-mūrte

kirīṭinam – mit Helm; gadinam – mit Keule; cakra-hastam – Feuerrad in der Hand; icchāmi – ich wünsche; tvām – Dich; draṣṭum – zu sehen; aham – ich; tathā eva – in dieser Position; tena eva – dadurch; rūpeṇa – mit Form; catur-bhujena – vierhändig; sahasra-bāho – O Tausendhändiger; bhava – werden; viśva-mūrte – O universale Form.

ÜBERSETZUNG

O universaler Herr, ich möchte Dich in Deiner vierarmigen Gestalt sehen, mit behelmten Haupt und mit Keule, Feuerrad, Muschelhorn und Lotus in Deinen Händen. Ich sehne mich danach, Dich in dieser Form zu sehen.

ERKLÄRUNG

In der Brahma-saṁhitā wird gesagt, daß der Herr ewiglich in Hunderttausenden von Formen manifestiert ist, von denen Rāma, Nṛsimha und Nārāyaṇa die wichtigsten sind. Es gibt unzählige solcher Formen. Doch Arjuna wußte, daß Kṛṣṇa der ursprüngliche Persönliche Gott ist, der Seine zeitweilige universale Form angenommen hatte. Er bittet nun darum, die Gestalt Nārāyaṇas, eine spirituelle Form, sehen zu dürfen. Dieser Vers erhärtet ohne jeden Zweifel die Aussage des Śrīmad-Bhāgavatam, die besagt, daß Kṛṣṇa der ursprüngliche Persönliche Gott ist und daß alle anderen Aspekte von Ihm ausgehen. Er ist nicht verschieden von Seinen vollständigen Erweiterungen, und in jeder Seiner zahllosen Formen ist Er Gott. In all diesen Gestalten ist Er von jugendlichem Alter und von blühender Schönheit – dies ist die ewige Erscheinung des Höchsten Persönlichen Gottes. Wer Kṛṣṇa kennt, wird von allen Verunreinigungen der materiellen Welt frei.

VERS 47

श्रीभगवानुवाच ।
मया प्रसन्नेन तवार्जुनेदं रूपं परं दर्शितमात्मयोगात् ।
तेजोमयं विश्वमनन्तमाद्यं यन्मे त्वदन्येन न दृष्टपूर्वम् ॥४७॥

śrī bhagavān uvāca
mayā prasannena tavārjunedaṁ
rūpaṁ paraṁ darśitam ātma-yogāt
tejomayaṁ viśvam anantam ādyaṁ
yan me tvad-anyena na dṛṣṭa-pūrvam

śrī bhagavān uvāca – der Höchste Persönliche Gott sagte; mayā – von Mir; prasannena – glücklich; tava – dir; arjuna – O Arjuna; idam – diese; rūpam – Form; param – transzendental; darśitam – ist gezeigt worden; ātma-yogāt – durch Meine innere Energie; tejomayam – voller Glanz; viśvam – das gesamte Universum; anantam – unbegrenzt; ādyam – ursprünglich; yat me – das, was Mir gehört; tvat-anyena – außer dir; na dṛṣṭa-pūrvam – niemand hat zuvor gesehen.

ÜBERSETZUNG

Der Höchste Herr sagte: Mein lieber Arjuna, mit Freuden habe Ich dir durch Meine innere Energie diese universale Form in der materiellen Welt gezeigt. Niemand vor Dir hat jemals diese unbegrenzte und gleißende Form gesehen.

ERKLÄRUNG

Arjuna hatte den Wunsch, die universale Form des Höchsten Herrn zu sehen, und aus Barmherzigkeit gegenüber Seinem Geweihten Arjuna, offenbarte Śrī Kṛṣṇa Seine universale Form, die voller Glanz und Reichtum war. Diese Form war gleißend wie die Sonne, und ihre vielen Gesichter wechselten rasch. Kṛṣṇa zeigte diese Form nur, um den Wunsch Seines Freundes Arjuna zu erfüllen. Diese Form wurde von Kṛṣṇa durch Seine innere Energie manifestiert, die durch menschliche Spekulationen nicht erfaßt werden kann. Niemand vor Arjuna hatte die universale Form des Herrn jemals gesehen, doch weil diese Form Arjuna gezeigt wurde, konnte sie auch von anderen Gottgeweihten auf den himmlischen Planeten und auf anderen Planeten im Weltall gesehen werden. Sie hatten sie niemals zuvor erblickt, aber weil Arjuna sie sehen konnte, waren auch sie fähig, sie zu betrachten. Mit anderen Worten, alle Geweihten des Herrn konnten die universale Form sehen, die Arjuna durch die Barmherzigkeit Kṛṣṇas gezeigt wurde. Es wird in einem Kommentar gesagt, daß auch Duryodhana diese Form offenbart wurde, als Kṛṣṇa zu ihm ging, um Friedensverhandlungen vorzuschlagen. Unglücklicherweise akzeptierte Duryodhana das Friedensangebot nicht, woraufhin Kṛṣṇa einige Seiner universalen Formen manifestierte. Doch diese Formen unterschieden sich von der, die Arjuna gezeigt wurde. Es wird unmißverständlich gesagt, daß niemand jemals zuvor diese Form gesehen hatte.

VERS 48

न वेद यज्ञाध्ययनैर्न दानैर्न च क्रियाभिर्न तपोभिरुग्रैः ।
एवंरूपः शक्य अहं नृलोके द्रष्टुं त्वदन्येन कुरुप्रवीर ॥४८॥

na veda-yajñādhyayanair na dānair
na ca kriyābhir na tapobhir ugraiḥ
evaṁ rūpaḥ śakya ahaṁ nṛloke
draṣṭuṁ tvad-anyena kuru-pravīra

na – niemals; veda – das Studieren der Veden; yajña – Opfer; adhyayanaiḥ – studierend; na dānaiḥ – durch Wohltätigkeit; na – niemals; ca – auch; kriyābhiḥ – durch fromme Aktivitäten; na tapobhiḥ – nicht durch Bußen; ugraiḥ – strenge; evam – somit; rūpaḥ – Form; śakyaḥ – kann gesehen werden; aham – Ich; nṛloke – in der materiellen Welt; draṣṭum – zu sehen; tvat – du; anyena – durch anderes; kuru-pravīra – O Bester unter den Kuru-Kriegern.

ÜBERSETZUNG

O Bester der Kuru-Krieger, niemand vor dir hat jemals diese Meine universale Form gesehen, denn sie kann weder durch Studieren der Veden noch durch Opferdarbringungen, noch durch Wohltätigkeiten oder ähnliche Aktivitäten gesehen werden. Nur du allein hast sie gesehen.

ERKLÄRUNG

Die göttliche Sicht, von der hier gesprochen wird, sollte in rechter Weise verstanden werden. Wer kann diese göttliche Sicht haben? Göttlich bedeutet fromm. Solange jemand nicht ein Halbgott wird und die Ebene der Göttlichkeit erreicht, kann er keine göttliche Sicht haben. Und wer ist ein Halbgott? In den vedischen Schriften heißt es, daß die Geweihten Viṣṇus Halbgötter sind. Die Atheisten, das heißt diejenigen, die nicht an Viṣṇu glauben oder nur den unpersönlichen Aspekt Kṛṣṇas als das Höchste erkennen, können keine göttliche Sicht haben. Es ist nicht möglich, Kṛṣṇa herabzusetzen und zur selben Zeit mit göttlichen Augen zu sehen. Man kann nicht über göttliche Sicht verfügen, ohne selbst göttlich zu werden. Mit anderen Worten, diejenigen, die die göttliche Sicht besitzen, können das gleiche sehen wie Arjuna.

In der Bhagavad-gītā finden wir die Beschreibung der universalen Form, die vor der Zeit Arjunas jedem unbekannt war; nach diesem Ereignis nun kann man sich eine ungefähre Vorstellung von der viśva-rūpa machen. Nur die wahrhaft göttlichen Wesen können die universale Form des Herrn sehen, doch man kann nicht göttlich sein, ohne ein reiner Geweihter Kṛṣṇas zu sein. Die Gottgeweihten jedoch, die tatsächlich von göttlichem Wesen sind und die göttliche Sicht haben, sind nicht sehr daran interessiert, die universale Form des Herrn zu sehen. Wie im vorangegangenen Vers erklärt wurde, hatte Arjuna den Wunsch, die vierhändige Form Śrī Kṛṣṇas als Viṣṇu zu sehen, denn er fürchtete sich vor der universalen Form.

In diesem Vers gibt es einige bedeutsame Worte, wie zum Beispiel veda-yajñādhya-yanaiḥ, die sich auf das Studieren der vedischen Schriften und die Regulierungen für Opfer beziehen. Veda bezieht sich auf alle Arten von vedischen Schriften: auf die vier Veden (Ṛg, Yajur, Sāma und Atharva), auf die achtzehn Purāṇas, die Upaniṣaden und das Vedānta-sūtra. In ähnlicher Weise gibt es auch sūtras, wie zum Beispiel Kalpa-sūtras und Mīmāṁsā-sūtras, mit deren Hilfe man die Methode des Opfers studieren kann. Dānaiḥ bezieht sich auf Gaben, die einer würdigen Gruppe von Menschen gegeben werden, wie zum Beispiel den brāhmaṇas und den Vaiṣṇavas, die im transzendentalen liebevollen Dienst des Herrn beschäftigt sind. Fromme Aktivitäten beziehen sich zum Beispiel auf das agni-hotra-Opfer, das heißt auf die Pflichten, die den verschiedenen Kasten vorgeschrieben sind. Fromme Aktivitäten und das freiwillige Akzeptieren körperlicher Bußen werden tapasya genannt. Ein Mensch kann zwar all diese Vorgänge ausführen – er kann körperliche Bußen auf sich nehmen, Spenden geben, die Veden studieren usw. –, doch solange er kein Gottgeweihter wie Arjuna ist, ist es ihm nicht möglich, die universale Form des Herrn zu sehen. Die Unpersönlichkeitsanhänger bilden sich ein, die universale Form ebenfalls zu sehen, doch aus der Bhagavad-gītā verstehen wir, daß die Unpersönlichkeitsanhänger keine Gottgeweihten sind. Daher sind sie unfähig, die universale Form des Herrn zu schauen.

Es gibt viele Menschen, die sich ihre eigenen Inkarnationen fabrizieren. Sie erklären fälschlich einen gewöhnlichen Menschen für eine Inkarnation, doch dies alles ist Humbug. Wir sollten den Prinzipien der Bhagavad-gītā folgen; andernfalls ist es nicht möglich, vollkommenes spirituelles Wissen zu empfangen. Obwohl die Bhagavad-gītā als die Anfangsstudie der Wissenschaft von Gott gilt, ist sie dennoch so vollkommen, daß man mit ihrer Hilfe genau erkennen kann, wie die Dinge wirklich liegen. Die Anhänger einer Pseudo-Inkarnation mögen zwar erklären, daß sie ebenfalls die transzendentale Inkarnation Gottes, die universale Form, gesehen hätten, doch solch eine Behauptung kann man nicht akzeptieren; denn hier wird eindeutig gesagt, daß man die universale Form Gottes nicht sehen kann, solange man nicht ein Geweihter Kṛṣṇas wird. Zuerst muß man also ein reiner Geweihter Kṛṣṇas werden; dann kann man behaupten, daß es die universale Form gewesen sei, die man gesehen habe. Ein Gottgeweihter kann eine falsche Inkarnation oder die Anhänger einer falschen Inkarnation nicht akzeptieren.

VERS 49

मा ते व्यथा मा च विमूढभावो दृष्ट्वा रूपं घोरमीदृङ्ममेदम् ।
व्यपेतभीः प्रीतमनाः पुनस्त्वं तदेव मे रूपमिदं प्रपश्य ॥४९॥

mā te vyathā mā ca vimūḍha-bhāvo
dṛṣṭvā rūpaṁ ghoram īdṛṅ mamedam
vyapetabhīḥ prīta-manāḥ punas tvaṁ
tad eva me rūpam idaṁ prapaśya

– laß es nicht sein; te – zu dir; vyathā – Mühsal; – laß es nicht sein; ca – auch; vimūdha-bhāvaḥ – Verwirrung; dṛṣṭvā – durch das Sehen; rūpam – Form; ghoram – entsetzlich; īdṛk – wie diese; mama – Mein; idam – wie es ist; vyapetabhīḥ – werde nur frei von aller Furcht; prīta-manāḥ – sei im Geiste erfreut; punaḥ – wieder; tvam – du; tat – das; eva – so; me – Meine; rūpam – Form; idam – diese; prapaśya – sieh nur.

ÜBERSETZUNG

Dein Geist ist verwirrt worden, weil Du diese Meine entsetzliche Erscheinung gesehen hast. Es soll nun genug sein. Sei frei von aller Verwirrung; mit friedvollem Geist kannst Du nun die Gestalt sehen, nach der du verlangst.

ERKLÄRUNG

Zu Beginn der Bhagavad-gītā verzweifelte Arjuna bei dem Gedanken, Bhīṣma und Droṇa (seinen ehrwürdigen Großvater und seinen Meister) töten zu müssen. Als man versuchte, Draupadī in der Versammlung der großen Generäle zu entkleiden, schwiegen Bhīṣma und Droṇa, und für diese Vernachlässigung der Pflicht sollten sie nun getötet werden. Kṛṣṇa offenbarte Arjuna Seine universale Form, um ihm zu zeigen, daß Bhīṣma und Droṇa für ihre gesetzeswidrigen Handlungen bereits getötet worden waren. Diese Szene wurde Arjuna gezeigt, weil Gottgeweihte immer friedlich sind und solche fürchterlichen Handlungen nicht ausführen können.

Der Zweck der Offenbarung der universalen Form war erfüllt worden; nun wollte Arjuna die vierarmige Form sehen, und daher zeigte Kṛṣṇa sie Ihm. Ein Gottgeweihter ist an der universalen Form nicht sehr interessiert, da er mit ihr keine liebevollen Gefühle austauschen kann. Ein Gottgeweihter möchte seine respektvollen, verehrenden Gefühle darbringen und deshalb die zweihändige oder vierhändige Gestalt Kṛṣṇas sehen, so daß im hingebungsvollen Dienen zwischen ihm und dem Höchsten Persönlichen Gott ein liebevoller Austausch stattfinden kann.

VERS 50

सञ्जय उवाच ।
इत्यर्जुनं वासुदेवस्तथोक्त्वा स्वकं रूपं दर्शयामास भूयः ।
आश्वासयामास च भीतमेनं भूत्वा पुनः सौम्यवपुर्महात्मा ॥५०॥

sañjaya uvāca
ity arjunaṁ vāsudevas tathoktvā
svakaṁ rūpaṁ darśayāmāsa bhūyaḥ
āśvāsayāmāsa ca bhītam enaṁ
bhūtvā punaḥ saumya-vapur mahātmā

sañjayaḥ uvāca – Sañyaya sagte; iti – so; arjunam – zu Arjuna; vāsudevaḥ – Kṛṣṇa; tathā – diese Weise; uktvā – indem Er sagte; svakam – Seine eigene; rūpam – Gestalt; darśayāmāsa – zeigte; bhūyaḥ – wieder; āśvāsayāmāsa – überzeugte ihn; ca – auch; bhītam – furchtbar; enam – ihn; bhūtvā punaḥ – wieder werden; saumya-vapuḥ – wunderschöne Gestalt; mahātmā – der Große.

ÜBERSETZUNG

Sañjaya sagte zu Dhṛtarāṣṭra: Da der Höchste Persönliche Gott, Vāsudeva [Kṛṣṇa], so zu Arjuna sprach, offenbarte Er Seine wirkliche, vierarmige Form und zeigte ihm schließlich Seine zweiarmige Gestalt, um so den furchtvollen Arjuna zu ermutigen.

ERKLÄRUNG

Als Kṛṣṇa als der Sohn Vasudevas und Devakīs erschien, offenbarte Er Sich zuerst als vierarmiger Nārāyaṇa; auf Bitten Seiner Eltern hin, wandelte Er Sich schließlich in ein scheinbar gewöhnliches Kind. In ähnlicher Weise wußte Kṛṣṇa auch, daß Arjuna nicht daran interessiert war, Seine vierhändige Form zu sehen; aber weil dieser darum bat, die vierhändige Form zu sehen, zeigte der Herr ihm auch diese Form und offenbarte Sich daraufhin in Seiner zweihändigen Gestalt. Das Wort saumya-vapuḥ ist von großer Bedeutung. Mit saumya-vapuḥ ist eine über alle Maßen schöne Gestalt gemeint; sie gilt als die wunderschönste Gestalt – als Kṛṣṇa gegenwärtig war, wurde jeder schon allein von Seiner Gestalt angezogen. Weil Er der Lenker des Universums ist, verbannte Er die Furcht Seines Geweihten Arjuna und zeigte Ihm erneut Seine wunderschöne Gestalt als Kṛṣṇa. In der Brahma-saṁhitā heißt es, daß nur ein Mensch, dessen Augen mit dem Balsam der Liebe gesalbt sind, die wunderschöne Gestalt Śrī Kṛṣṇas sehen kann.

VERS 51

अर्जुन उवाच ।
दृष्ट्वेदं मानुषं रूपं तव सौम्यं जनार्दन ।
इदानीमस्मि संवृत्तः सचेताः प्रकृतिं गतः ॥५१॥

arjuna uvāca
dṛṣṭvedaṁ mānuṣaṁ rūpaṁ
tava saumyaṁ janārdana
idānīm asmi saṁvṛttaḥ
sa-cetāḥ prakṛtiṁ gataḥ

arjunaḥ uvāca – Arjuna sagte; dṛṣṭvā – sehend; idam – diese; mānusam – Mensch; rūpam – Form; tava – Deine; saumyam – sehr wunderschön; janārdana – O Bezwinger der Feinde; idānīm – jetzt sofort; asmi – ich bin; saṁvṛttaḥ – ruhig; sa-cetāḥ – in meinem Bewußtsein; prakṛtim – mein eigenes Wesen; gataḥ – ich bin.

ÜBERSETZUNG

Als Arjuna Kṛṣṇa in Seiner ursprünglichen Gestalt sah, sagte er: O Janārdana, da ich diese menschenähnliche Gestalt sehe, die so überaus schön ist, ist mein Geist beruhigt und mein ursprüngliches Wesen wiederhergestellt.

ERKLÄRUNG

Hier weisen die Worte mānuṣaṁ rūpam eindeutig darauf hin, daß der Höchste Persönliche Gott ursprünglich zweihändig ist. Das beweist, daß diejenigen, die Kṛṣṇa verspotten und einen gewöhnlichen Menschen nennen, sich über Sein göttliches Wesen in Unwissenheit befinden. Wenn Kṛṣṇa ein gewöhnlicher Mensch wäre, wie könnte es dann für Ihn möglich sein, zuerst die universale Form und daraufhin die vierhändige Nārāyaṇa-Form zu zeigen. In der Bhagavad-gītā wird unmißverständlich erklärt, daß derjenige das größte Unrecht begeht, der denkt, Kṛṣṇa sei ein gewöhnlicher Mensch, und andere in die Irre führt, indem er behauptet, es sei das unpersönliche Brahman, das durch Kṛṣṇa spreche. Kṛṣṇa offenbarte tatsächlich Seine universale Form und Seine vierhändige Viṣṇu-Form. Wie kann Er also ein gewöhnlicher Mensch sein? Ein reiner Gottgeweihter wird von den irreführenden Kommentaren zur Bhagavad-gītā nicht verwirrt, da er zwischen falsch und richtig unterscheiden kann. Die ursprünglichen Verse der Bhagavad-gītā sind so klar wie die Sonne; sie benötigen nicht das Lampenlicht verblendeter Kommentatoren.

VERS 52

श्रीभगवानुवाच ।
मुदुर्दर्शमिदं रूपं दृष्टवानसि यन्मम ।
देवा अप्यस्य रूपस्य नितयं दर्शनकाङ्क्षिणः ॥५२॥

śrī bhagavān uvāca
sudurdarśam idaṁ rūpaṁ
dṛṣṭavān asi yan mama
devā apy asya rūpasya
nityaṁ darśana-kāṅkṣiṇaḥ

śrī bhagavān uvāca – der Höchste Persönliche Gott sagte; sudurdarśana – sehr schwer zu sehen; idam – diese; rūpam – Gestalt; dṛṣṭavān asi – die du gesehen hast; yat – was; mama – Meiner; devāḥ – die Halbgötter; api asya – auch diese; rūpasya – der Gestalt; nityam – ewiglich; darśana-kāṅkṣiṇaḥ – sich immer danach sehnen zu sehen.

ÜBERSETZUNG

Der Höchste Herr sagte: Mein lieber Aṛjuna, die Gestalt, die du nun erblickst, ist sehr schwer zu schauen. Sogar die Halbgötter suchen stets die Gelegenheit, diese Gestalt zu sehen, die so lieblich ist.

ERKLÄRUNG

Im achtundvierzigsten Vers dieses Kapitels beendete Śrī Kṛṣṇa die Offenbarung Seiner universalen Form und informierte Arjuna, daß diese Form unmöglich durch irgendwelche Aktivitäten oder Opfer gesehen werden kann. Hier nun wird das Wort sudurdarśam gebraucht, das darauf hinweist, daß Kṛṣṇas zweihändige Gestalt noch vertraulicher ist. Man mag vielleicht fähig sein, die universale Form Kṛṣṇas zu sehen, indem man zu den verschiedenen Aktivitäten wie Buße, Studium der Veden und philosophischer Spekulation ein wenig hingebungsvolles Dienen hinzufügt – dies mag möglich sein –, doch ohne eine Spur von bhakti kann man sie nicht erblicken; das ist bereits erklärt worden. Noch schwieriger ist es – selbst für Halbgötter wie Brahmā und Śiva –, die zweihändige Gestalt Kṛṣṇas zu sehen, die sich jenseits der universalen Form befindet. Sie sehnen sich danach, Ihn zu sehen, und im Śrīmad-Bhāgavatam wird beschrieben, daß alle Halbgötter vom Himmel herabstiegen, um die Herrlichkeit Kṛṣṇas zu sehen, als Er Sich im Schoß Seiner Mutter Devakī befand. Sie warteten sogar darauf, Ihn zu sehen. Ein Dummkopf mag Kṛṣṇa vielleicht verspotten, doch solch ein Mensch ist nur ein gewöhnliches Lebewesen. Sogar Halbgötter wie Brahmā und Śiva sehnen sich danach, Kṛṣṇa in Seiner zweiarmigen Gestalt zu sehen.

In der Bhagavad-gītā wird ebenfalls bestätigt, daß Er den Dummköpfen, die Ihn verspotten, nicht sichtbar ist. Wie aus der Brahma-saṁhitā zu erfahren ist und von Ihm Selbst in der Bhagavad-gītā erklärt wird, ist Sein Körper ganz und gar spirituell und voller Glückseligkeit und Ewigkeit. Sein Körper kann niemals mit einem materiellen Körper verglichen werden. Doch für einige Menschen, die Kṛṣṇa genau untersuchen, indem sie die Bhagavad-gītā oder ähnliche vedische Schriften studieren, ist Kṛṣṇa ein Problem. Wer sich eines materiellen Vorganges bedient, um Kṛṣṇa zu verstehen, hält Ihn für eine bedeutende historische Persönlichkeit und einen sehr gelehrten Philosophen – doch Kṛṣṇa ist kein gewöhnlicher Mensch. Manche glauben auch, Er habe, trotz Seiner Macht, einen materiellen Körper annehmen müssen. Sie denken, die Absolute Wahrheit sei letztlich unpersönlich; daher glauben sie, Er habe von Seinem unpersönlichen Aspekt aus eine persönliche Gestalt angenommen, die an die materielle Natur gebunden sei. Dies ist eine materialistische Einschätzung des Höchsten Herrn. Es gibt noch eine andere spekulative Auffassung. Auch diejenigen, die nach Wissen suchen, spekulieren über Kṛṣṇa und halten Ihn für weniger bedeutend als die universale Form des Höchsten. Somit glauben einige, die universale Form Kṛṣṇas, die Arjuna sichtbar gewesen sei, sei wichtiger als Seine persönliche Gestalt. Nach ihrer Ansicht existiert die persönliche Gestalt des Höchsten nur in der Einbildung. Sie glauben, die Absolute Wahrheit sei letzten Endes keine Person. Doch der transzendentale Vorgang, Kṛṣṇa zu verstehen, wird im Zweiten Kapitel der Bhagavad-gītā beschrieben: man sollte von Autoritäten von Ihm hören. Das ist der eigentliche vedische Vorgang, und diejenigen, die den Veden folgen, hören von einer Autorität von Kṛṣṇa, und durch wiederholtes Hören wird ihnen Kṛṣṇa sehr lieb. Wie wir schon verschiedene Male erklärt haben, ist Kṛṣṇa von Seiner yoga-māyā-Energie bedeckt. Er ist nicht für jeden beliebigen Menschen sichtbar bzw. offenbart. Nur für den, für den Er Sich offenbart, ist Er sichtbar. Dies wird in den vedischen Schriften bestätigt: nur von einer hingegebenen Seele kann die Absolute Wahrheit verstanden werden. Durch beständiges Kṛṣṇa-Bewußtsein und durch hingebungsvolles Dienen für Kṛṣṇa können die spirituellen Augen des Transzendentalisten geöffnet werden, und folglich kann er Kṛṣṇa durch dessen Offenbarung sehen. Selbst den Halbgöttern ist es nicht möglich, Kṛṣṇa zu sehen. Sogar für sie ist es schwierig, Ihn zu verstehen; doch die fortgeschrittenen Halbgötter hoffen immer, Kṛṣṇa in Seiner zweihändigen Gestalt zu erblicken.

Die Schlußfolgerung lautet: obwohl es sehr, sehr schwierig und nicht jedem beliebigen Menschen möglich ist, die universale Form Kṛṣṇas zu sehen, ist es noch schwieriger, Seine persönliche Gestalt als Śyāmasundara zu verstehen.

VERS 53

नाहं वेदैर्न तपसा न दानेन न चेज्यया ।
शक्य एवंविधो द्रष्टुं दृष्टवानसि मां यथा ॥५३॥

nāhaṁ vedair na tapasā
na dānena na cejyayā
śakya evaṁ-vidho draṣṭuṁ
dṛṣṭavān asi māṁ yathā

na – niemals; aham – Ich; vedaiḥ – durch das Studium der Veden; na – niemals; tapasā – durch strenge Bußen; na – niemals; dānena – durch Wohltätigkeit; na – niemals; ca – auch; ijyayā – durch Verehrung; śakyaḥ – es ist möglich; evam-vidhaḥ – wie diese; draṣṭum – zu sehen; dṛṣṭavān – sehend; asi – du bist; mām – Mich; yathā – wie.

ÜBERSETZUNG

Diese Gestalt, die du nun mit deinen transzendentalen Augen siehst, kann man weder durch Studieren der Veden verstehen, noch durch strenge Bußen, Wohltätigkeit oder Verehrung. Nicht mit diesen Mitteln kann man Mich sehen, wie Ich bin.

ERKLÄRUNG

Kṛṣṇa erschien Seinen Eltern Devakī und Vasudeva zuerst in einer vierhändigen Form und wandelte Sich später in seine zweihändige Gestalt. Dieses Geheimnis ist für Atheisten bzw. Menschen, die kein hingebungsvolles Dienen praktizieren, sehr schwer zu verstehen. Für die Gelehrten, die die vedischen Schriften nur mittels Spekulation oder aus bloßem akademischen Interesse studiert haben, ist es ebenfalls sehr schwierig, Kṛṣṇa zu verstehen. Auch kann Er nicht von Menschen verstanden werden, die nur offiziell, zur Verehrung, zum Tempel gehen. Sie besuchen zwar den Tempel, aber sie können Kṛṣṇa nicht so verstehen, wie Er ist. Kṛṣṇa kann, wie Er Selbst im nächsten Vers erklärt, nur durch den Pfad des hingebungsvollen Dienens verstanden werden.

VERS 54

भक्त्या त्वनन्यया शक्य अहमेवंविधोऽर्जुन ।
ज्ञातुं द्रष्टुञ्च तत्त्वेन प्रवेष्टुञ्च परंतप ॥५४॥

bhaktyā tv ananyayā śakya
aham evaṁ-vidho ’rjuna
jñātuṁ draṣṭuṁ ca tattvena
praveṣṭuṁ ca parantapa

bhaktyā – durch hingebungsvolles Dienen; tu – aber; ananyayā – ohne mit fruchtbringenden Aktivitäten oder spekulativem Wissen vermischt zu sein; śakyaḥ – möglich; aham – Ich; evam-vidhaḥ – wie dies; arjuna – O Arjuna; jñātum – zu wissen; draṣṭum – zu sehen; tattvena – tatsächlich; praveṣṭum – und einzugehen in; ca – auch; parantapa – O Starkarmiger.

ÜBERSETZUNG

Mein lieber Arjuna, allein durch uneingeschränktes hingebungsvolles Dienen kann Ich verstanden werden, wie Ich bin und vor dir stehe, und kann so direkt gesehen werden. Nur so kannst du in die Geheimnisse Meines Verstehens eindringen.

ERKLÄRUNG

Kṛṣṇa kann nur durch den Vorgang des uneingeschränkten hingebungsvollen Dienens verstanden werden. Er erklärt dies ausdrücklich in diesem Vers, so daß unautorisierte Kommentatoren, die versuchen, die Bhagavad-gītā mit Hilfe von Spekulation zu verstehen, wissen, daß sie lediglich ihre Zeit verschwenden. Niemand kann Kṛṣṇa verstehen, oder begreifen, wie Er Seinen Eltern in einer vierhändigen Form erscheinen und Sich dann sofort in eine zweihändige Gestalt verwandeln konnte. Es wird hier unmißverständlich gesagt, daß niemand Ihn sehen kann. Diejenigen jedoch, die im Studium der vedischen Schriften sehr erfahren sind, können aus den Veden sehr viel über Ihn lernen. Es gibt sehr viele Regeln und Regulierungen, und wer Kṛṣṇa wirklich verstehen möchte, muß die regulierenden Prinzipien befolgen, die in den autoritativen Schriften niedergelegt sind. Man kann sich zum Beispiel in Übereinstimmung mit solchen Prinzipien Bußen auferlegen.

Was Wohltätigkeit betrifft, so sollte es selbstverständlich sein, den Geweihten Kṛṣṇas Spenden zu geben, denn sie sind in Seinem hingebungsvollen Dienst beschäftigt, um die Kṛṣṇa-Philosophie bzw. Kṛṣṇa-Bewußtsein überall auf der Welt zu verbreiten. Kṛṣṇa-Bewußtsein ist eine Segnung für die gesamte Menschheit. Śrīla Rūpa Gosvāmī sagte, Śrī Kṛṣṇa Caitanya sei der großmütigste Wohltäter, weil Er Liebe zu Kṛṣṇa, die sehr schwer zu erlangen sei, freigiebig verteile. Und wenn man, wie vorgeschrieben, Tempelverehrungen ausführt (für gewöhnlich befindet sich in den Tempeln Indiens immer eine Statue von Viṣṇu oder Kṛṣṇa), besteht die Möglichkeit, Fortschritt zu machen. Für die Neulinge im hingebungsvollen Dienen ist die Tempelverehrung sehr wichtig, und dies wird auch in den vedischen Schriften bestätigt. Wer unerschütterliche Hingabe zum Höchsten Herrn besitzt und vom geistigen Meister geführt wird, kann den Höchsten Persönlichen Gott durch dessen Offenbarung erkennen. Doch für jemanden, der nicht unter der persönlichen Führung eines echten geistigen Meisters geschult wird, ist es unmöglich, auch nur zu beginnen, Kṛṣṇa zu verstehen. In diesem Zusammenhang wird ganz besonders das Wort tu gebraucht, um darauf hinzuweisen, daß kein anderer Vorgang, Kṛṣṇa zu verstehen, angewandt, empfohlen werden oder erfolgreich sein kann.

Die persönlichen Formen Kṛṣṇas, die zweihändige und die vierhändige, sind von der zeitweiligen universalen Form, die Arjuna gezeigt wurde, völlig verschieden. Nārāyaṇa ist die vierhändige Form, und Kṛṣṇa die zweihändige; beide sind ewig und transzendental, wohingegen die universale Form, die Arjuna offenbart wurde, zeitweilig ist. Das Wort sudurdarśam (schwierig zu sehen) bedeutet, daß niemand die universale Form sehen konnte. Es weist auch darauf hin, daß es nicht notwendig war, sie für die Gottgeweihten zu zeigen. Diese Form wurde von Kṛṣṇa auf die Bitte Aṛjunas hin offenbart, damit die Menschen in der Zukunft jemanden, der sich als Inkarnation Gottes ausgibt, bitten können, seine universale Form zu zeigen.

Kṛṣṇa wandelte Sich von der universalen Form in die vierhändige Form Nārāyaṇas und daraufhin in Seine ursprüngliche Gestalt mit zwei Händen. Dies weist darauf hin, daß die vierhändigen und die anderen Formen, die in den vedischen Schriften erwähnt werden, Emanationen des ursprünglichen, zweihändigen Kṛṣṇa sind. Er ist der Ursprung aller Emanationen. Kṛṣṇa unterscheidet Sich sogar von diesen Formen – von der unpersönlichen Auffassung ganz zu schweigen. Was nun die vierhändigen Formen Kṛṣṇas betrifft, so wird eindeutig gesagt, daß sogar die mit Kṛṣṇa identischste vierhändige Form eine Emanation des Höchsten Herrn ist. Diese Form ist als Mahā-Viṣṇu bekannt, der auf dem kosmischen Ozean liegt, und aus dessen Atem unzählige Universen hervorgehen, die später wieder in Ihn eingehen. Deshalb sollte man die persönliche Gestalt Kṛṣṇas als den Höchsten Persönlichen Gott verehren, der Ewigkeit, Glückseligkeit und Wissen ist. Er ist der Ursprung aller Formen Viṣṇus; Er ist der Ursprung aller Formen der Inkarnationen, und Er ist, wie in der Bhagavad-gītā bestätigt wird, der Höchste Persönliche Gott.

In den vedischen Schriften wird gesagt, daß die Höchste Absolute Wahrheit eine Person ist. Sein Name ist Kṛṣṇa, und Er kommt manchmal auf die Erde herab. Im Śrīmad-Bhāgavatam findet man eine Beschreibung aller Formen der Inkarnationen des Höchsten Persönlichen Gottes, und es wird dort gesagt, daß Kṛṣṇa keine Inkarnation Gottes, sondern der Höchste Persönliche Gott Selbst ist: Kṛṣṇas tu bhagavān svayam. Auch in der Bhagavad-gītā sagt der Herr:

mattaḥ parataraṁ nānyāt

„Es gibt nichts Höheres als Meine Gestalt als der Höchste Persönliche Gott Kṛṣṇa.“

An einer anderen Stelle in der Bhagavad-gītā erklärt Er:

aham ādir hi devānām

„Ich bin der Ursprung aller Halbgötter.“

Und nachdem Arjuna die Bhagavad-gītā von Kṛṣṇa verstanden hatte, bestätigte er diese Wahrheit ebenfalls:

paraṁ brahma paraṁ dhāma pavitraṁ paramaṁ bhavān

„Ich verstehe nun völlig, daß Du der Höchste Persönliche Gott, die Absolute Wahrheit und die Zuflucht allen Seins bist.“

Deshalb ist die universale Form, die Kṛṣṇa Arjuna zeigte, nicht die ursprüngliche Gestalt Gottes. Die ursprüngliche Gestalt ist die Gestalt Kṛṣṇas. Die universale Form mit ihren Tausenden und Abertausenden von Köpfen und Händen ist nur manifestiert, um die Aufmerksamkeit derjenigen auf sich zu ziehen, die keine Liebe für Gott empfinden. Sie ist nicht die ursprüngliche Gestalt Gottes.

Die universale Form ist für die reinen Gottgeweihten nicht anziehend, die in verschiedenen transzendentalen Beziehungen mit dem Herrn in Liebe verbunden sind. Der Höchste Gott tauscht in Seiner ursprünglichen Gestalt als Kṛṣṇa mit Seinen Geweihten Gefühle transzendentaler Liebe aus. Deshalb war für Arjuna, der mit Kṛṣṇa so eng in Freundschaft verbunden war, diese Form der universalen Manifestation nicht angenehm – sie erschreckte ihn vielmehr. Arjuna, der ein ständiger Gefährte Kṛṣṇas ist, muß transzendentale Augen gehabt haben; er war kein gewöhnlicher Mensch. Deshalb faszinierte ihn die universale Form nicht. Diese Form mag Menschen wunderbar erscheinen, die das Ziel haben, sich durch fruchtbringende Aktivitäten zu erheben; doch denen, die im hingebungsvollen Dienen beschäftigt sind, ist die zweihändige Gestalt Kṛṣṇas am liebsten.

VERS 55

मत्कर्मकृन्मत्परमो मद्भक्तः सङ्गवर्जितः ।
निर्वैरः सर्वभूतेषु यः स मामेति पाण्डव ॥५५॥

mat-karma-kṛn mat-paramo
mad-bhaktaḥ saṅga-varjitaḥ
nirvairaḥ sarva-bhūteṣu
yaḥ sa mām eti pāṇḍava

mat-karma-kṛt – beschäftigt sein, Meine Arbeit zu verrichten; mat-paramaḥ – was Mich, den Höchsten betrifft; mat-bhaktaḥ – in Meinem hingebungsvollen Dienen beschäftigt sein; saṅga-varjitaḥ – befreit von der Verunreinigung vorangegangener Aktivitäten und gedanklicher Spekulationen; nirvairaḥ – ein Freund; sarva-bhūteṣu – jedem Lebewesen; yaḥ – wer; saḥ – er; mām – Mir; eti – kommt; pāṇḍava – O Sohn Pāṇdus.

ÜBERSETZUNG

Mein lieber Arjuna, wer in Meinem reinen hingebungsvollen Dienst beschäftigt ist, frei von den Verunreinigungen vorangegangener Aktivitäten und frei von gedanklichen Spekulationen, und wer jedem Lebewesen ein Freund ist, gelangt ganz sicher zu Mir.

ERKLÄRUNG

Jeder, der sich der höchsten aller Persönlichkeiten Gottes auf dem Kṛṣṇaloka-Planeten in der spirituellen Welt nähern will und eng mit der höchsten Persönlichkeit, Kṛṣṇa, verbunden sein möchte, muß die Unterweisung befolgen, die in diesem Vers vom Höchsten Herrn Selbst gegeben wird. Deshalb gilt dieser Vers als die Essenz der Bhagavad-gītā. Die Bhagavad-gīta ist ein Buch, das für die bedingten Seelen bestimmt ist, die in der materiellen Welt mit dem Ziel tätig sind, die Natur zu beherrschen, und die nicht das wirkliche, spirituelle Leben kennen. Die Bhagavad-gītā soll zeigen, wie man seine spirituelle Existenz und seine ewige Beziehung zur Höchsten Spirituellen Persönlichkeit verstehen kann, und sie soll die bedingten Seelen lehren, wie man zurück nach Hause, zurück zu Gott, gehen kann. In diesem Vers nun wird der Vorgang erklärt, durch den man in seiner spirituellen Aktivität erfolgreich sein kann: hingebungsvolles Dienen. Was Arbeit betrifft, so sollte man sich mit seiner ganzen Energie in Kṛṣṇa-bewußten Aktivitäten beschäftigen. Niemand sollte eine Arbeit verrichten, die nicht in Beziehung zu Kṛṣṇa steht. Das wird Kṛṣṇa-karma genannt. Man mag vielleicht mit verschiedenen Aktivitäten beschäftigt sein, doch man sollte nicht am Ergebnis seiner Arbeit haften, sondern es dem Herrn darbringen. Man kann zum Beispiel auch Geschäfte machen, doch um diese Aktivität in eine Kṛṣṇa-bewußte Aktivität zu verwandeln, muß man im Interesse Kṛṣṇas Geschäfte machen. Wenn Kṛṣṇa der Besitzer des Geschäfts ist, sollte Kṛṣṇa auch den Gewinn des Geschäfts genießen. Wenn ein Geschäftsmann Tausende und Abertausende von Mark besitzt und alles Geld Kṛṣṇa geben möchte, so sollte er dies tun. Das ist Arbeit für Kṛṣṇa. Anstatt ein großes Gebäude zur Sinnesbefriedigung zu errichten, kann er einen schönen Tempel für Kṛṣṇa bauen, nach den Unterweisungen der autorisierten Bücher des hingebungsvollen Dienens die transzendentale Bildgestalt Kṛṣṇas aufstellen und alles für den Dienst an dieser Bildgestalt bereitstellen. Das alles ist Kṛṣṇa-karma. Man sollte nicht am Ergebnis seiner Arbeit haften, sondern es Kṛṣṇa darbringen; man sollte außerdem prasādam, die Reste von Speisen, die Kṛṣṇa geopfert wurden, zu sich nehmen. Wenn man jedoch nicht imstande ist, einen Tempel für Kṛṣṇa zu errichten, so kann man zumindest den Tempel Kṛṣṇas reinigen; auch das ist Kṛṣṇa-karma. Man kann auch einen Garten pflegen. Jeder, der Land besitzt (in Indien besitzt jeder arme Mann ein kleines Stück Land), kann es im Dienste Kṛṣṇas verwenden, indem er Blumen züchtet, um sie Ihm zu opfern. Auch kann man tulasī-Pflanzen säen, denn tulasī-Blätter sind sehr wichtig und werden von Kṛṣṇa in der Bhagavad-gītā als Opfer empfohlen. Kṛṣṇa wünscht, daß man Ihm entweder ein Blatt, eine Blume, eine Frucht oder ein wenig Wasser opfert – dann ist Er zufriedengestellt. Mit dem Blatt ist besonders das tulasī-Blatt gemeint. Man kann also tulasī säen und Wasser auf die Pflanze gießen. So kann sich selbst der Ärmste im Dienste Kṛṣṇas beschäftigen. Dies sind einige Hinweise, wie man für Kṛṣṇa arbeiten kann.

Das Wort mat-paramaḥ bezieht sich auf jemanden, der das Zusammensein mit Kṛṣṇa in Seinem höchsten Reich als die höchste Vollkommenheit des Lebens ansieht. Solch ein Mensch wünscht sich nicht, zu höheren Planeten erhoben zu werden, wie zum Beispiel zum Mond, zur Sonne oder zu den himmlischen Planeten. Er hat nicht einmal den Wunsch, den höchsten Planeten des Universums, Brahmaloka, zu erreichen. Er sehnt sich nur danach, in die spirituelle Welt gebracht zu werden. Und auch in der spirituellen Welt ist er nicht damit zufrieden, mit der leuchtenden brahmajyoti-Ausstrahlung zu verschmelzen, denn er möchte den höchsten Planeten, Kṛṣṇaloka, Goloka Vṛndāvana, erreichen. Er besitzt vollkommenes Wissen von diesem Planeten, und so ist er an nichts anderem interessiert, als dorthin zu gelangen. Wie schon das Wort mad-bhaktaḥ andeutet, beschäftigt er sich unaufhörlich im hingebungsvollen Dienen, ganz besonders aber in den neun hingebungsvollen Aktivitäten: über Kṛṣṇa hören, über Ihn chanten, sich an Ihn erinnern, Ihn verehren, Seinen Lotusfüßen dienen, Ihm Gebete darbringen, Seine Befehle ausführen, Freundschaft mit Ihm schließen und Ihm alles hingeben. Wenn man sich in allen neun Aktivitäten der Hingabe, oder in acht, sieben oder wenigstens einem dieser Vorgänge, beschäftigt, wird man ohne jeden Zweifel die Vollkommenheit erreichen.

Der Ausdruck saṅga-varjitaḥ ist sehr bedeutsam. Man sollte den Umgang mit Menschen, die gegen Kṛṣṇa sind, meiden. Nicht nur Atheisten sind gegen Kṛṣṇa, sondern auch diejenigen, die von fruchtbringenden Aktivitäten und gedanklichen Spekulationen angezogen werden. Deshalb wird im Bhakti-rasāmṛta-sindhu die reine Form des hingebungsvollen Dienens wie folgt beschrieben:

anyābhilāṣitā-śūnyam jñāna-karmādy-anāvṛtam.
ānukūlyena kṛṣṇānuśīlanaṁ bhaktir uttamā

In diesem Vers erklärt Śrīla Rūpa Gosvāmī, daß jeder, der reinen hingebungsvollen Dienst ausführen möchte, zuerst von aller materiellen Verunreinigung frei werden muß. Er muß frei vom Umgang mit Menschen sein, die fruchtbringenden Aktivitäten und gedanklichen Spekulationen verfallen sind. Wenn man von solch schlechtem Umgang und der Verunreinigung materieller Verlangen frei ist und auf dieser Stufe positives Wissen von Kṛṣṇa entwickelt, wird dies reines hingebungsvolles Dienen genannt.

Ānukūlyasya saṅkaplaḥ prātikūlyasya varjanam. Man sollte in positiver Weise an Kṛṣṇa denken und positiv für Ihn handeln und Ihm nicht feindlich gesinnt sein. Kaṁsa war ein Feind Kṛṣṇas, und gleich nachdem Kṛṣṇa geboren worden war, versuchte Kaṁsa, Ihn auf verschiedene Weise zu töten, und weil seine Pläne immer wieder vereitelt wurden, grübelte er ständig über Kṛṣṇa. Er war vierundzwanzig Stunden am Tag – während er arbeitete, aß und schlief – in jeder Hinsicht Kṛṣṇa-bewußt; doch dieses Kṛṣṇa-Bewußtsein war nicht positiv. Obwohl er vierundzwanzig Stunden am Tag ständig an Kṛṣṇa dachte, muß er als Dämon angesehen werden, und Kṛṣṇa tötete ihn schließlich. Jeder, der von Kṛṣṇa getötet wird, erlangt zwar augenblicklich die Befreiung, doch das ist nicht das Ziel des reinen Gottgeweihten. Der reine Gottgeweihte wünscht nicht einmal Befreiung, er möchte noch nicht einmal zum höchsten Planeten, Goloka Vṛndāvana, erhoben werden; sein einziges Ziel ist es – ganz gleich wo er sich befindet – Kṛṣṇa zu dienen.

Ein Geweihter Kṛṣṇas ist jedem freundlich gesinnt. Deshalb wird hier gesagt, daß er keinen Feind hat. Wie ist dies möglich? Ein Gottgeweihter, der im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist, weiß, daß allein hingebungsvoller Dienst für Kṛṣṇa einen Menschen von allen Problemen des Lebens befreien kann. Er hat dies persönlich erfahren, und daher möchte er diesen Vorgang, Kṛṣṇa-Bewußtsein, in der menschlichen Gesellschaft einführen. In der Geschichte gibt es viele Beispiele für Geweihte des Herrn, die ihr Leben wagten, um Gottesbewußtsein zu verbreiten. Ein beliebtes Beispiel ist Jesus Christus. Er opferte für die Verbreitung des Gottesbewußtseins sein Leben, als er von Nicht-Gottgeweihten gekreuzigt wurde. Es ist ein Fehler zu denken, er sei getötet worden. Auch in Indien gibt es hierfür viele Beispiele, wie Ṭhākura Haridāsa. Warum nehmen diese Menschen ein solches Risiko auf sich? Weil sie Kṛṣṇa-Bewußtsein verbreiten wollen und dieses Vorhaben sehr schwierig ist. Ein Kṛṣṇa-bewußter Gottgeweihter weiß, daß ein Mensch leidet, weil er seine ewige Beziehung zu Kṛṣṇa vergessen hat. Der größte Dienst, den man der menschlichen Gesellschaft erweisen kann, besteht deshalb darin, seinen Nächsten von allen materiellen Problemen zu erlösen. Ein reiner Gottgeweihter ist in diesem Sinne im Dienst des Herrn beschäftigt. Wir können uns leicht vorstellen, wie barmherzig Kṛṣṇa gegenüber denen ist, die sich in Seinem Dienst beschäftigen und alles für Ihn wagen. Deshalb ist es sicher, daß solche Menschen den höchsten Planeten erreichen, nachdem sie den Körper verlassen haben.

Kṛṣṇa offenbarte also zuerst Seine universale Form, die eine zeitweilige Manifestation ist, daraufhin offenbarte Er die Form der alles-verschlingenden Zeit und später sogar die vierhändige Form Viṣṇus. Kṛṣṇa ist also der Ursprung all dieser Manifestationen. Kṛṣṇa ist nicht eine Manifestation der zeitweiligen viśva-rūpa oder eine Manifestation Viṣṇus. Kṛṣṇa ist der Ursprung aller Formen. Es gibt Hunderttausende von Viṣṇus, aber für einen Gottgeweihten ist keine andere Form Kṛṣṇas wichtig außer der ursprünglichen Gestalt, dem zweihändigen Śyāmasundara. In der Brahma-saṁhitā wird erklärt, daß diejenigen, die sich in Liebe und Hingabe zur Śyāmasundara-Gestalt Kṛṣṇas hingezogen fühlen, in ihrem Herzen immer den Herrn, und außer Ihm nichts anderes, sehen können. Deshalb sollte man die Bedeutung dieses Elften Kapitels verstehen, die darin liegt, daß die Gestalt Kṛṣṇas erhaben und wesentlich ist.

So enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum Elften Kapitel der
Śrīmad-Bhagavad-gītā, genannt „Die universale Form“.

Lotus

Bhagavad-gītā (1. Auflage 1974):  [PDF] (60 MB, Bilder, Sanskrit, Lesezeichen)
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